Raus aus den Hinterhöfen

Lebt in Hamburg, schreibt auf Norwegisch: der Schriftsteller Ingvar Ambjörnsen, der kein Sozialarbeiter sein will  ■ Von Frank Keil

Es war einmal. In Larvik, einem nach außen idyllischen Hafenstädtchen in Südnorwegen. Ein junger Mann wuchs dort auf, der das Leben in der Provinz bald gründlich satt hatte. Der anfing zu schreiben, weil man sich nur schreibend befreien kann. Der in die Hauptstadt floh. Der dort schnell zu einem der bekanntesten Underground-Dichter avancierte. Den Verwirrten, den Außenseitern, den Freaks auf der Spur. Zehn Jahre ging das, meist ohne eigenes Zimmer, geschweige denn eigene Wohnung. Bei Freunden und Bekannten untergekommen. Bis er auch das gründlich überhatte. Damals lernte er seine spätere Frau, die Übersetzerin Gabriele Haefs kennen, die all seine Bücher vom Norwegischen ins Deutsche übertragen würde. Eine Zeitlang pendelten beide hin und her. Von Oslo nach Hamburg, von Hamburg nach Oslo. Wie das eben so geht.

Dann – es war 1984 – wurde einiges anders. Und Ingvar Ambjörnsen beschloß, nach Hamburg überzusiedeln. Es lockten eine geräumige Wohnung und die Aussicht auf Abstand zu dem bisherigen Leben. „Total unromantisch“ nennt er diese Entscheidung im Rückblick. Es hätte nicht Hamburg sein müssen. Nur eine Großstadt, bloß nicht Norwegen. Denn Erfolg hat zuweilen seinen Preis. In Oslo – wo er heute eine kleine Wohnung unterhält – ist er eine öffentliche Person. Kann nicht unbehelligt einkaufen gehen, nirgendwo in Ruhe ein Bier trinken. Es sind – und man muß für diese Vermutung nicht seine 29 Bücher gelesen haben – nicht immer die umgänglichsten Menschen, die sich da zu ihm an den Tisch setzen und ihr Leben vor ihm ausbreiten wollen. Die ihn, den Schriftsteller, mit dessen papiernen Helden verwechseln. „Ein Luxusproblem, gewiß“, sagt Ambjörnsen. Doch eines, das gelöst werden muß, will der Dichter in Ruhe seiner Arbeit nachgehen. Es folgten sieben Jahre St. Georg. Sieben Jahre in einem Stadtteil, dessen Image ihm heute noch anhängt. Ambjörnsen, der schreibt doch über Nutten und Drogis und hängt bei Nagels rum. Unzählige Male hat er sich in Hinterhöfen fotografieren lassen, hat Osloer Studenten durch das Karree Bremer Reihe, Danziger Straße, Hansaplatz geführt. Dann war auch das vorbei.

Man zog um ins vergleichsweise harmlose Eimsbüttel. Um festzustellen, auch Eimsbüttel ist ein Dorf voller netter Menschen, wenn man es nur versteht, diese zwischen den Unnetten herauszufiltern. Doch auch hier steht manchmal einer vor der Tür, der über'n Oslo-fjord geschippert ist, mit dem Schlafsack und jeder Menge Probleme unter dem Arm. Der so Angebetete schickt ihn dann höflich, aber bestimmt zurück. „Ich bin Schriftsteller, kein Sozialarbeiter“, sagt Ambjörnsen. Und so sitzt mitten unter uns ein Norweger, ungeheuer arbeitsam und produktiv. Dessen Antennen nordwärts ausgerichtet sind. Der weiterhin in seiner Muttersprache schreibt, der unentwegt Pläne wälzt für zukünftige Romane, Anthologien, Filmprojekte. Der regelmäßig den norwegischen Rundfunk abhört und via Internet an die Publikationen seines Herkunftslandes angeschlossen ist. Bei dem so ziemlich alle Neuerscheinungen aus Norwegen landen und der bei der aktuellen deutschen Literatur passen muß. Der sich entsprechend vom hiesigen Literaturrummel fernhält und seit drei Jahren als Kolumnist für Norwegens auflagenstärkste Tageszeitung VG tätig ist. Und der zuletzt mit seiner Elling-Trilogie über einen jugendlichen Frührentner brillierte, mit einem offenen Ende, das ein mögliches Happy-End nahelegt.

Vielleicht kehrt Ambjörnsen bald nach Larvik zurück, wenn auch nur auf dem Papier, versteht sich. Eine Bahnfahrt durch Norwegen machte es ihm deutlich, neulich. Es ging stundenlang durch dunkle Wälder, die ihn die bedrückende Enge der überwunden geglaubten Vergangenheit wieder spüren ließ. So wie er auch kürzlich eine mißlungene Großstadtnovelle in eine Waldszenerie umschrieb. Und sie funktionierte. Was ist schon die Tristesse der Großstadt gegen den alltäglichen Wahnsinn auf dem Lande, wo hinter jedem Baum einer mit der Axt steht. „Ich mußte 42 werden, um das zu erkennen“, sagt Ambjörnsen. Eine Flucht ist vorerst zu Ende. Der gelungenen Rettung in die Großstadt, die zufällig Hamburg heißt, könnte eine Annäherung an die Provinz folgen. Und damit die Gewißheit, daß einem die Heimat gerade aus der Distanz ans Herz wachsen kann.

In der Reihe „Hamburger Profile“ stellen wir ab jetzt die etwas anderen Kulturschaffenden der Stadt vor. Am Sonnabend: King Rocko Schamoni