■ Die vom Verwaltungsgericht München beschlossene Ausweisung des 14jährigen Mehmet beruht auf einer abenteuerlichen Rechtskonstruktion. Nur um Mehmet loszuwerden, wurden zuvor die Eltern zu "Illegalen" erklärt.
: Egal wie, Mehmet soll weg

Eigentlich ist es absurd, was Kenan Kolat da gerade gesagt hat. Als Geschäftsführer des weltoffenen, politisch liberalen Türkischen Bundes in Berlin ist er ein Lobbyist, ein Mann, der von den Mitgliedern seines Vereins beauftragt wurde, ihre Interessen wahrzunehmen. Und jetzt fordert er vom deutschen Staat, junge Türken ins Gefängnis zu stecken. In ein deutsches Gefängnis. „Wer hier geboren ist, hat das Recht darauf, hier resozialisiert zu werden“, sagt er über straffällig gewordene Landsleute. Der Satz fällt lakonisch, mitten in einem Gespräch über den Fall Mehmet und seine Konsequenzen, und erst im nachhinein beginnt man sich zu wundern. Zum Beispiel über die Frage, wieweit es gekommen ist im schwierigen Umgang von Deutschen und Ausländern, wenn ein Lobbyist der türkischen Minderheit schon darum ringen muß, daß wenigstens in deutschen Gefängnissen Platz ist für junge Landsleute, die straffällig geworden sind.

Am anderen Ende der Republik, in München, hat am Dienstag die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts München einen Beschluß mit dem Aktenzeichen M 17 S 98.2640 getroffen und damit die Debatte angeheizt, unter welchen Umständen kriminelle Jugendliche ohne deutschen Paß das Land verlassen müssen. Kurz gesagt, hat die Kammer entschieden, daß der 14jährige Mehmet von den bayerischen Behörden in die Türkei abgeschoben werden darf.

Rund sechzigmal hat die Staatsanwaltschaft gegen den Jungen ermittelt, dessen Name zum Schutz seiner Familie geändert wurde. Mit Ausnahme der jüngsten Sache sind alle Verfahren eingestellt worden, denn bis zum 18.Juni war Mehmet jünger als 14 Jahre und somit strafunmündig. So lang die Latte seiner Vergehen ist, so lang ist auch die Liste der Versuche, den Jungen mit anderen als strafrechtlichen Mitteln von Rückfällen abzuhalten: Betreuung durch die Jugendhilfe, Maßnahmen des Stadtjugendamtes, mehrfache erfolglose Heimunterbringung und zuletzt sozialpädagogische Einzelbetreuung für monatlich angeblich 8.400 Mark. Kurz nach seinem 14. Geburtstag im Juni hat Mehmet mit mehreren anderen Jugendlichen einen 19jährigen Schüler überfallen und beraubt. Mit einer Zaunlatte habe er zugeschlagen, sagt die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger Alexander Eberth bestreitet dies.

Bundesweit hatte der Fall für Aufmerksamkeit gesorgt, weil die zuständige Ausländerbehörde auch Mehmets Eltern einen Ausweisungsbescheid zugestellt hatten, obwohl sie seit dreißig Jahren unbescholten in München leben. Im Beschluß des Verwaltungsgerichts vom Dienstag heißt es dazu ausdrüklich: „Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage (...) stellt sich die Ausweisung der Eltern – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht als offensichtlich rechtswidrig dar.“ Der Beschluß ist somit der erste Schritt in einem voraussichtlich Jahre dauernden Rechtsstreit um die Zulässigkeit dieser Maßnahme, denn die juristische Konstruktion zur Ausweisung von Eltern und Sohn gilt als umstritten (siehe Kasten). Anwalt Eberth hält gegenüber der taz sowohl den Gang bis zum Bundesverfassungsgericht als auch zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg für möglich.

„Die DVU kann man bekämpfen“, sagt Kenan Kolat vom Türkischen Bund, „aber die Ideen werden von der gesellschaftlichen Mitte aufgesogen.“ Die tückische Verquickung von Ausländerpolitik mit Kriminalitätsbekämpfung gehört aus Kolats Sicht dazu. In seiner Umgebung seien die Enttäuschung und der Ärger über das Urteil riesig groß. „Wir vermissen einen Aufschrei in der Öffentlichkeit“, sagt er. Die Unterstützung für die Anliegen der Türken in Deutschland bröckele selbst in der SPD, wie die Ideen des Schatten- Innenministers Otto Schily zeigten. „Bisher waren Linke und Intellektuelle ausländerfreundlich, zum Teil auch unkritisch – das schlägt jetzt um“. Auch Safter Çinar, stellvertretender Bundesvorsitzender der „Türkischen Gemeinde in Deutschland“, hält den Meinungsumschwung für tiefgreifend: „Das ist weder eine rein bayerische Posse noch eine überzogene Erscheinung im Bundestagswahlkampf.“ Patrick Schwarz