New Gospel? Old school!

■ Trotz Fragen nach dem letzten Kirchenbesuch und Typen, die dauernd „Hallelujah“ schreien: Raymond Myles hat bei den „Heimatklängen“ ein streckenweise mitreißendes Konzert gegeben

Kann ein Konzert gut sein, bei dem man gleich zu Beginn gefragt wird, wann man das letzte Mal in der Kirche war? Das atheistische Gemüt verspürt Fluchtgedanken, aber dann meldet sich nur ein versprengtes Häuflein, während der große Rest anscheinend doch mehr wegen der Musik ins Tempodrom gekommen ist und weniger wegen des Seelenheils: Raymond Myles soll anfangen. Was dann wohl den Himmel verärgert haben dürfte: Schon während des ersten Songs beginnt es, zu regnen. Unangenehm bei einem Open-air, aber: Die Masse tobt. Trotzdem.

Angekündigt sind Raymond Myles & RAMS (was für Raymond Anthony Myles Singers steht und erstens einfallslos ist, während es zweitens die hörenswerte Instrumentalband völlig unter den Tisch fallen läßt) im Rahmen der Heimatklänge als New Gospel. Wobei niemand so genau zu wissen scheint, was damit eigentlich gemeint ist: Das Programm spricht von einer Art sozialem Netzwerk in den Vororten von New Orleans, in der die christliche „Message of love...nicht abstrakt, sondern ersingbar und ertanzbar“ sei. Gospel steht hier für eine authentische religiöse Ausdrucksform der schwarzen Unterklasse, für ein kulturelles Integrationsmodell einer Gesellschaftsschicht, die ansonsten in unüberschaubar viele Subgruppen zerfallen würde. New Gospel? Das klingt dann doch eher nach Old school, Authenzität gegenüber weichgespültem Chorgesang, für den der religiöse Inhalt nur noch Staffage ist, Kulisse im Marketing-Plan. Wenn dem nun so wäre.

Aber mit Gospel im klassischen Sinne des „good spell“ hat Myles tatsächlich nicht mehr viel am Hut. Das beginnt mit seiner elektrifizierten Band, die das traditionelle Ensemble durch den Einsatz von Synthesizern, E-Gitarre und E-Bass verstärkt, das endet mit dem Repertoire, das neben den Standards verstärkt auf weltliche Klänge, auf Funk und Soul setzt. Was dann streckenweise arg hitparadentauglich klingt, mitunter gar schnulzig, wie in der unsäglich weichgespülten Version von „Saving all my love for you“, andernorts dagegen mitreißend. Aretha Franklins „Respect“ wird so zu einem zehnminütigen Tanzflächenfüller, treibend, aggressiv. Das meinen sie also mit „ersingbar und ertanzbar“.

Sicher: Gospel ist mehr, als man an diesem Abend zu hören bekommt, so wie auch Soul mehr ist: Insbesondere eine hocherotische Verwischung der Geschlechtergrenzen, an die Myles, der als lila Kugel über die Bühne hüpft und auf unterstem Niveau das Publikum einpeitscht (“I love you all!“), nie zu denken scheint. Aber die Band agiert druckvoll, der Bassist ist hübsch anzusehen, und die drei Sängerinnen Karen Hogans, Tina Dyson und Vanessa Thomas setzen, wenn sie nicht gerade als Solistinnen die Aretha für Arme geben, hübsche Akzente. Und wenn dann auch noch der Typ hinter mir nicht ständig unmotiviert „Hallelujah!“ gebrüllt hätte, dann wäre das vielleicht noch ein richtig gutes Konzert geworden. Falk Schreiber

Noch bis zum Sonntag, 2. August, jeweils um 21 Uhr 30 im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten