Urwüchsige Kicker-Patina fehlt noch

■ 2. Fußball-Bundesliga: Aufsteiger Tennis Borussia startet am Freitag in St. Pauli in die neue Saison. Trainer hofft auf mehr Zuschauer, denn die Veilchen führten bisher ein Schattendasein

Selten eilte einem Neuling ein solcher Ruf wie Donnerhall voraus wie den Tennis Borussen aus Charlottenburg. Von „Geheimfavorit“ bis „Mitfavorit“ stuft die ehrfürchtige Konkurrenz den Emporkömmling in der 2. Bundesliga ein.

In der Geldrangliste rangiert der Verein aus dem Mommsenstadion mit einem projektierten Saison-Etat von 15 Millionen Mark auf dem 4. Platz hinter den mächtig powernden Topfavoriten und Bundesliga-Absteigern Karlsruhe, Bielefeld und Köln, die jeweils rund das Doppelte an Finanzmasse in die Waagschale werfen. Sollte es dem ambitionierten Aufsteiger jedoch gelingen, sportlich in die finanzielle Phalanx der Superreichen einzudringen und am Saisonende einen der begehrten drei Spitzenplätze zu belegen, dann wäre der Durchmarsch des amtierenden Deutschen Amateurmeisters von der Regionalliga in die 1. Bundesliga perfekt.

Ein Kunststück, das eigentlich keines wäre, denn in den zurückliegenden Jahren schafften dies bereits Düsseldorf, 1860 München, Bielefeld und Nürnberg. Nun also auch TeBe? Präsident Kuno Konrad macht keinen Hehl daraus, daß das Profi-Unterhaus lediglich Durchgangsstation sein soll auf dem Weg in die bundesdeutsche Spitzenklasse. „Im Jahr 2000 wollen wir in die Bundesliga aufsteigen“, verkündet der Schwabe. Spätestens 2010 möchte der Klub aus Eichkamp die europäische Spitze ins Visier nehmen.

So groß die Wertschätzung der Borussia in fremden Städten auch sein mag – im eigenen Lager muß sich der Klub, dem bislang die urwüchsige Kicker-Patina zu fehlen scheint, gewaltig nach Anerkennung suchen. Denn in Berlin gilt „Tennis“ seit jeher als der etwas andere Fußball-Klub: intellektuell statt proletarisch, elitär statt basisnah, korrekt statt verstrickt in Skandale, für die vornehmlich Hertha BSC und der 1. FC Union sorgten, die trotzdem (oder gerade deshalb?) in der Publikumsgunst vor TeBe rangieren.

Borussen-Trainer Herman Gerland weiß, daß seine „Veilchen“ – ungeachtet der sportlichen Erfolge – weiterhin nur ein Schattendasein führen werden. „Hertha ist und bleibt die Nummer eins in Berlin“, hat der gebürtige Bochumer längst erkannt. Aber dahinter will sein Klub eine Nische schaffen, in der es sich trefflich leben ließe.

„Fußball muß Unterhaltung sein“, gibt der Präsident als Erfolgsmotto aus. Konrad ist weniger an bierrülpsenden Fans gelegen, die auch schon mal für Zoff auf den Rängen sorgen. Er hat als bevorzugte Zielgruppe gewaltfreie Supporter im Auge, vor allem Familien, „die in Ruhe guten Sport sehen und sich unterhalten möchten“, aber sich bisher noch für keinen Hauptstadtklub erwärmen konnten.

Deshalb soll das Mommsenstadion, soweit es die Örtlichkeiten zulassen, zur „Erlebniswelt“ ausgebaut werden. Schon im vergangenen Aufstiegsjahr sorgte der UFA-Zirkus mit seinen Artisten und Musikern bei TeBe-Auftritten für lockere Stimmung in der Arena an der Waldschulallee. Trotzdem drückten in der Regionalliga im Schnitt nur 1.000 Besucher ihren Obolus an den Kassenhäuschen ab. Eine Klasse höher kalkuliert TeBe vorsichtig mit 3.000 Zuschauern pro Heimspiel, Coach Gerland spekuliert sogar auf 5.000 bis 6.000, „wenn die Leistung stimmt“.

Für den Fall der Fälle, daß TeBe sowohl in der Klassenhierarchie als auch der Publikumsgunst weiter nach oben steigen sollte, hat sich Konrad bereits nach einer neuen Heimat für seine Mannschaft umgeschaut. Im niederländischen Utrecht wurde er fündig. Die dortige Mehrzweck-Arena „Galgenvaard“ mit Restaurant und Büroräumen wäre so recht nach dem Geschmack des Ober-Borussen, der an der Spree in Klubregie gerne ein ähnliches Schmuckkästchen errichten würde. „Sollten wir an Weihnachten tatsächlich an der Tabellenspitze stehen“, verkündete Konrad, „würden wir uns ernsthafte Gedanken darüber machen.“