Karacho, ergo sum: Neues vom Handwerker Von Wiglaf Droste

Vor kurzem schrieb ich an dieser Stelle einen Frontbericht über den Handwerker – wie er, ganz allgemein, im Psychopathologischen, Sexuellen und Mentalen, gestrickt ist, und wie er, ganz speziell, mich quält mit diversem maschinell erzeugten Geräusch und anderem todeswürdigem Lärm. Seitdem haben sich die Verhältnisse zugespitzt. Der Handwerker hat aufgerüstet – beziehungsweise, wie das in Handwerkersprech heißt: Er hat eingerüstet. Das Haus nebenan. So lernte ich eine mir bis dato noch fremde Spezies des Handwerkers kennen: den Gerüstbauer.

Der Gerüstbauer ist der Sportler unter den Handwerkern, und zwar der Mannschafts- und Rudel- Sportler; bevorzugt tritt er in Form der Sportkompanie auf. Doch nicht das Ideal des Höher-Schneller-Weiter treibt ihn an; sein Ziel heißt: Früher-Länger-Lauter. Also früher anzufangen, länger zu bleiben und dabei noch viel mehr und noch viel bestialischeren Lärm zu machen als das Bauklempner-, Bauelektriker- und sonstige Handwerker-Geschmeiß, auf das er mitleidig oder verächtlich herabsieht.

Dazu ist er bestens ausgerüstet. Mit großem Getöse kann er sein Gerüstgestänge vom Pritschenwagen aufs Straßenpflaster pfeffern. Das macht ihm viel Spaß, und er hat dabei etwas diabolisch Fünfjähriges im Gesicht. Sprroing! Ka- dunk! Ta-toiing! macht das Gestänge auf dem Trottoir; meint es die bauliche Situation besonders gut mit dem Gerüstbauer, kann er das metallische Geschepper sogar direkt unter dem Fenster des Anwohners entfachen. Und siehe, nein: und höre – die bauliche Situation ist ihm günstig, ihm, dem Gerüstbauer, und siehe, nein, abermals nein: und höre – der Anwohner bin ich. Und reife vom simplen Mieter zum akustischen Metallexperten heran. Schon nach kurzer Zeit kann ich unterscheiden zwischen Vollmantel- und Hohlspitzgestänge – und das, obwohl ich aus gutem Grund die militärische Ausbildung verweigert habe.

Die aber holt der Gerüstbauer an mir nach. Nicht, daß er mit mir spräche, der Gerüstbauer; er ist viel zu sehr damit beschäftigt, sein eigenes Gelärm zu überschreien. Denn das ist der Grund, warum man Gerüstbauer wird: Man darf noch lauter brüllen als sonstwie lärmen. Und auf diese Weise in zuvor einigermaßen friedfertigen und sozial nicht unverträglichen Menschen klassische militärische und soldatische Tugenden entfachen: sadistische Gelüste und Tötungsphantasien. Soll ich ihn pfählen, den Gerüstbauer? Ihm also mit seinem eigene Werkzeug den kürzesten Weg zwischen Muffe und Mund zeigen? Oder ihm wie ein Sniper, wie ein Heckenschütze aus dem Hinterhalt vom Gerüst schießen? Oder ihm mit schwerer Artillerie herunterholen: Kanonier Droste – Handwerker auf neun Uhr! Feuer! Und mich hinterher auf Notwehr, Befehl und Pflicht berufen wie ein richtiger Soldat? Soll ich vom Pazifisten zum Kriegsmann degenerieren wie ein Abgeordneter der Grünen?

Oder nicht doch den Gerüstbauer im speziellen und den Handwerker im allgemeinen zum Menschsein bekehren? Genau! Seinen ersten und einzigen Grundsatz „Karacho, ergo sum!“ werde ich ihm nehmen und ihn zum Buddhisten erziehen mit dem Tao des Tischlers, mit einem zen-buddhistischen Koan. Und so geht Zen- Buddhismus für Handwerker: paßt, wackelt und hat Luft.