Analyse
: Ausgleich aus dem Lot

■ Aber die Kläger mißachten, daß der Bundesstaat Solidarität braucht

Nur mal angenommen, ein Unternehmen verlagert seinen Firmensitz von Hessen nach Thüringen. Der Betrieb zahlt 10 Millionen Mark Einkommenssteuer. Finanzminister Andeas Trautvetter (CDU) hätte dann zunächst ein Plus von 10 Millionen Mark in der Landeskasse in Erfurt. Und sein hessischer Kollege Karl Starzacher (SPD) verlöre die gleiche Summe. Zunächst. Unter dem Strich aber sieht die Situation ganz anders aus: Thüringens Einnahmen würden im Endeffekt um 750.000 Mark sinken. Die Steuerbilanz Hessens sähe gar um 35.000 Mark besser aus – obwohl doch ein Betrieb mit erheblichen Steuerabgaben abgewandert ist.

Die „Schuld“ dafür trägt der Finanzausgleich. Er soll die „unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgleichen“. Bayern und Baden-Württemberg aber meinen, das System funktioniere nicht mehr: Es sei ungerecht, nivellierend, leistungsfeindlich. Gestern haben beiden Länder ihre Klagen gegen den Finanzausgleich beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, weil sie nicht mehr wie etwa 1997 2,8 beziehungsweise 2,5 Milliarden Mark in das Ausgleichssystem einzahlen wollen. 12 Milliarden Mark wurden insgesamt umverteilt, vor allem vom Westen der Republik in den Osten.

Die finanzschwachen Länder beklagen gern, die derben Süddeutschen seien mit ihrer Klage in Karlsruhe wie die Elefanten in den Porzellanladen gestürmt. Der Länderfinanzausgleich, erst 1995 neu gestrickt, müsse politisch neu ausgehandelt werden. Dennoch belegt das Beispiel des von West nach Ost ziehenden Unternehmens, daß das Ausgleichs-Mobile offenbar aus dem Lot geraten ist. Auch Hessens Finanzminister hat gern ein solches Beispiel parat, das belegt: In manchen Fällen bestraft der Finanzausgleich geradezu. Die Hessen haben sich daher entschlossen, gleichfalls in Karlsruhe zu klagen. Im Herbst, gestützt durch ein neues Gutachten und mit einer anderen Stoßrichtung.

Die Thüringer finden das Beispiel vom Betriebsumzug nicht gut. Es lasse wichtige spezielle Steuertatbestände (wie etwa Sonderabschreibung) des Ost-Landes außer acht. Eine Milchmädchenrechnung sei es, weil es der Komplexität des Ausgleichs nicht gerecht werde. Das stimmt. Aber dem Mann auf der Straße leuchtet die Absurdität gewiß ein. Vielleicht sollten die Thüringer besser auf den Hintergrund des Länderfinazausgleichs verweisen: Solidarität ist für einen Bundesstaat essentiell, weil ausgeglichene Lebensverhältnisse für die Menschen in jedem Land herrschen sollen. Das gelang 40 Jahre in der Bundesrepublik so einigermaßen – bis zum Fall der Mauer. Der immense ökonomische Nachholbedarf im Osten der Republik hat den Finanzausgleich aus dem Lot gebracht. Aber die dahinterstehende Logik, die Solidarität, hat ihre Berechtigung nicht verloren. Christian Füller