Trauriger König der Apotheken

Radprofi Marco Pantani hat Pech gehabt: Weil er in dem Jahr an der Reihe ist, die Tour de France zu gewinnen, in dem man Doping bekämpft – wird er einer ihrer größten Verlierer

Marco Pantani (28) kann sich morgen einen Lebenstraum erfüllen: Mit einer durchschnittlichen Leistung beim Zeitfahren kann er dafür sorgen, daß er am Sonntag das Tourklassement als Erster beenden wird. Damit geht er in die Annalen ein. Die Frage ist nur: als was? Als König der radelnden Apotheken? Als legitimer Nachfolger seiner ruhmreichen Vorgänger? Wahrscheinlich ist er beides – und damit am Ende ein größerer Verlierer als etwa der von ihm distanzierte Deutsche Jan Ullrich.

Will irgend jemand der Sieger der Tour de France 1998 sein? Pantani sagt: „Ja.“ Vielleicht weiß er ja, daß der Unterschied zu den Vorjahren nur in den Aktionen der französischen Justiz besteht. Es nützt ihm aber nichts.

Eigentlich müßte man es ja sensationell nennen, daß das unter Dopingverdacht stehende TVM- Team aus den Niederlanden sich gestern aus dem Staub gemacht hat. Angesichts des Zustandes der Tour ist es bloß mehr eine Randnotiz, daß die Profis nicht mehr zur 19. Etappe von La Chaux-de Fonds nach Autun angetreten sind. Vermutlich, um sich den Ermittlungsbehörden in Frankreich zu entziehen. Die fünf TVM-Profis, die bis zum Donnerstag noch mitgefahren waren, fühlten sich „physisch und psychisch zu erschöpft“, um sich noch weiter zu beteiligen. Damit rollten gestern noch 14 (von 21) Teams und 97 (von 189) Fahrern weiter unfröhlich dem sonntäglichen Ziel in Paris entgegen.

Einer der TVM-Fahrer, Jeroen Blijlevens, hatte sich bereits am Donnerstag davongeschlichen, kurz nachdem er mit der Tour-Karawane die Grenze zur Schweiz passiert hatte. Der ermittelnde Staatsanwalt hatte erklärt, daß die TVM-Fahrer nach Ende der Tour am Montag in Reims erneut verhört werden sollen. Teamchef Cees Priem und Mannschaftsarzt Andre Michailov sind seit über einer Woche in Haft, weil die Polizei in ihren Hotelzimmern „unerlaubte Mittel“ sichergestellt hat.

Die Ermittlungen wegen Dopings auch gegen andere Teams gehen weiter. „Berg-König“ Rodolfo Massi vom Team Casino und der Mannschaftsarzt von Once, Nicolas Terrados, sind am Freitag von Chambéry nach Lille überstellt worden. Der zuständige Untersuchungsrichter Patrick Keil, der in der Doping-Affäre um Festina ermittelt, muß über die Eröffnung des formellen Ermittlungsverfahrens gegen beide und über einen Haftbefehl entscheiden.

Massi und Terrados waren am Mittwoch abend während der Tour in Chambéry festgenommen worden. Sie befanden sich seitdem in Polizeigewahrsam. Bei Massi sollen Cortisonpräparate, die als Dopingmittel dienen können, in dessen Hotelzimmer gefunden worden sein. Der 27jährige Italiener wird nach französischen Presseberichten vom Freitag beschuldigt, nicht nur Dopingmittel genommen, sondern sie auch verkauft zu haben. Die Boulevardzeitung Le Parisien schrieb, Massi werde verdächtigt, andere Rennfahrer versorgt zu haben. In einem Fahrzeug des spanischen Teams Once sollen am Donnerstag ebenfalls unzulässige Substanzen sichergestellt worden sein.

Frankreichs Polizei hat indes alle Vorwürfe gegen ihre Vorgehensweise zurückgewiesen. Der Vorwurf, sie seien „wie Folterknechte vorgegangen“, hat nun die Beamten empört. Ihr Chef Bernard Gravet sagte: „Die Polizisten machen ihre Arbeit.“ Eile sei geboten gewesen, damit Beweise nicht vernichtet werden und damit Beschuldigte nicht dem Zugriff der französischen Behörden entkommen. Das offizielle Ende des Geschehens an diesem Sonntag in Paris habe deshalb nicht abgewartet werden können.

Was Marco Pantani betrifft: Will irgend jemand wissen, wieviel er wiegt, warum er ein Piratentuch trägt und wie ihn alle Welt – angeblich liebevoll – nennt? Es wäre eine Geschichte gewesen: Der Held des Willens, der nach einem bösen Sturz im Herbst 1995 bei Mailand- Turin dachte, daß „ich im Rollstuhl bleibe“. Dessen linkes Bein drei Zentimeter kürzer als das rechte ist. Der beim Giro 1997 über eine Katze stürzte – ein echter Pechvogel.

Der Vorjahressieger Jan Ullrich kann sich einen Glückspilz nennen, daß er nicht vorn liegt – und sollte das heute nicht mehr zu ändern versuchen. Kollege Laurent Jalabert hat längst gesagt, als was der Sieger der Tour erinnert werden wird: als „König der Gedopten“. Geändert hat sich, wie gesagt, nur die Rezeption des Ereignisses. Das mögen viele grundsätzlich gut finden. Aus Marco Pantanis Sicht ist es böses Pech.