Haftstrafe für Pekings Ex-Bürgermeister

■ In China muß erstmals auch ein hoher Parteiführer wegen Korruption ins Gefängnis. Doch das Urteil hat keine Signalwirkung

Berlin (taz) – Pekings ehemaliger Bürgermeister und Ex-Parteichef, Chen Xitong, ist gestern vom Obersten Volksgericht der chinesischen Hauptstadt zu 16 Jahren Haft verurteilt worden. Er wurde der Korruption und der Vernachlässigung seiner Amtspflichten für schuldig befunden, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Chen, der dem Politbüro angehörte, ist damit der höchste zu einer Gefängnisstrafe verurteilte KP-Führer seit den Schauprozessen gegen die Viererbande vor zwanzig Jahren.

Der Fall Chen bestätigt, daß Chinas Staats- und Parteiführung bis in die höchste Spitze korrupt ist. Die Führung nahm diesen Eindruck mit der Anklage offenbar in Kauf, versuchte aber vielmehr zu zeigen, daß sie auch in den eigenen Reihen hart gegen Korruption vorgeht. Doch da in schon weniger schwerwiegenden Fällen die Todesstrafe verhängt wurde, gilt die gegen Chen verhängte Haftstrafe als vergleichsweise mild.

Der Ex-Bürgermeister erhielt 13 Jahre Haft für Korruption und 4 für Pflichtverletzung. Wieso die Gesamtstrafe nur 16 Jahre beträgt, teilte Xinhua genausowenig mit wie die Taten, für die er verurteilt wurde. Xinhua berichtete nur, Chen müsse unrechtmäßig erhaltene Gelder an den Staat abführen und könne innerhalb von zehn Tagen Berufung einlegen.

Der 68jährige war von 1983 bis 1995 zunächst Bürgermeister und dann Parteichef in Peking. Im April 1995 wurde er aus dem Amt entfernt und unter Hausarrest gestellt, nachdem seine zentrale Rolle in einem Korruptionsfall offensichtlich geworden war. Der ebenfalls beteiligte stellvertretende Bürgermeister Wang Baosan starb damals durch einen mysteriösen Selbstmord. Auch über 40 hohe Beamte wurden verhaftet. Im September 1995 verlor Chen mit seinem Sitz im Politbüro sämtliche Ämter. Eine parteiinterne Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß er „eine große Zahl wertvoller Dinge angenommen und angehäuft“ und öffentliche Mittel für einen „korrupten und dekadenten Lebenswandel“ zweckentfremdet hatte. Medienberichten zufolge sollen im Fall Chen Bestechungsgelder im Umfang von mehr als zwei Milliarden US-Dollar geflossen sein, die Chen vor allem für die Vergabe von Baugenehmigungen kassierte.

Bereits im vergangenen Juni waren Chens Sohn und sein Sekretär wegen Korruption und Mißbrauchs öffentlicher Gelder zu 12 und 15 Jahren verurteilt worden. Im März dieses Jahres wurde dann das Verfahren gegen Chen angekündigt. Die lange Zeit bis zur Anklage gilt als Indiz, daß sich die Parteiführung massiv in das Verfahren eingemischt hat. Obwohl Xinhua den Prozeß als öffentlich bezeichnete, drangen keine Details nach außen. Nur ein wirklich öffentlicher Prozeß hätte nach Meinung von Beobachtern den Kampf der Staats- und Parteiführung gegen die Korruption Glaubwürdigkeit verleihen können. Sven Hansen