Ein kleines bißchen Neuschreib

■ Ab heute gelten die neuen Schreibregeln, und alle machen's anders: Dichter gar nicht, Zeitungen später, Behörden je nachdem

Berlin (taz) – Zwölf Jahre lang wurde die Rechtschreibreform diskutiert, am heutigen Stichtag heißt die Devise „Nur nichts überstürzen“: Zeitungen und Nachrichtenagenturen wenden die neuen Rechtschreibregeln frühestens im Sommer 1999 an, Verlage und Schriftsteller sträuben sich ganz. Und auch die Länderregierungen sind sich nicht einig: In den Schulen gelten die Regeln bereits, beim amtlichen Schriftverkehr nur in neun Bundesländern.

Offiziell gelten die neuen Rechtschreibregeln ab heute, tatsächlich müssen die Beamten aber erst im Jahr 2005 rechtschreibfit sein. So verhält es sich in Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Sachsen. „Aus Kostengründen“ will man die Rechtschreibung nicht auf einen Schlag umstellen. Bestehende Formulare sollen noch aufgebraucht werden, auch alte Software-Programme müssen vorerst weiter ihren Dienst tun.

Die organisatorische Umsetzung der Rechtschreibreform regelt jedes Bundesland für sich. In Niedersachsen erschien der Erlaß zur Anwendung der neuen Rechtschreibung erst Ende der Woche. In Hessen kann jede Behörde für sich entscheiden, wann und wie sie in den nächsten sieben Jahren umstellt. Nicht anders in Rheinland- Pfalz, wo die Experten vom Wissenschaftsministerium für die Kollegen in den anderen Behörden immerhin Faltblätter mit den wichtigsten Regeln zusammengestellt haben.

In Sachsen-Anhalt sind die Behörden bereits gewappnet: Innenminister Manfred Püchel hat 300 Drehscheiben mit den neuen Rechtschreibregeln bestellt, damit seine Beamten beim Verfassen von Amtsschreiben und Verordnungen künftig keine Fehler machen. Mit dem Tempo der Saarländer Behörden kann Püchel aber nicht mithalten. Die wollen ihren amtlichen Schriftverkehr bereits bis Montag umgestellt haben.

Bei CDU-regierten Bundesländern zählt nur Sachsen zu den Vorreitern. Dort absolvieren die Schreibkräfte der Behörden bereits seit 1996 Rechtschreibkurse. „Wir sind noch nicht soweit“, lassen derweil die anderen CDU- Länder verlauten. Sie wollen spätestens bis zum 1. Januar umstellen. Man habe erst mal das Urteil des Verfassungsgerichts abgewartet, sagt Dieter Wiesinger vom baden-württembergischen Innenministerium. Berlin prüft erst noch mal die Urteilsbegründung, in Mecklenburg-Vorpommern soll demnächst das Kabinett entscheiden, in Bremen befindet das Parlament – nach der Sommerpause.

Erst im Juni hatten sich die Innenminister aller Bundesländer darauf geeinigt, die neue Schreibe im amtlichen Schriftverkehr von August an anzuwenden. Der Prozeß über die Rechtschreibreform am Bundesverfassungsgericht brachte den Beschluß ins Wanken. Ein zweiter Abstimmungsversuch zwischen den Ländern scheiterte am Zögern der CDU-Innenminister.

Übrigens: Wer glaubt, daß die neuen Rechtschreibregeln im „Beamtendeutsch“ ohnehin nicht ins Gewicht fielen, hat sich geirrt. Lydia Jendryschik vom Innenministerium in Nordrhein-Westfalen verfaßte in diesen Tagen eine Pressemitteilung über eine Bootseinweihung der Wasserschutzpolizei – gleich viermal mußte sie das Wort „Schifffahrt“ schreiben, mit drei f, wohlgemerkt. Heike Spann(n)agel