Jahrhunderthochwasser jetzt fast jedes Jahr

■ Landgewinnung, Bodenversiegelung und Abholzung verschärfen das jahrhundertealte Problem der Überschwemmungen in China. Der Dreischluchtenstaudamm wird es nicht lösen

Berlin (taz) – Die sommerliche Regenzeit läßt den Jangtse und seine zahlreichen Nebenflüsse regelmäßig über die Ufer treten. Im Laufe der Jahre hat die Intensität des Hochwassers an Asiens größtem Strom jedoch zugenommen. „Der Konflikt um Raum zwischen Wasser und Menschen ist immer stärker zugunsten der Menschen entschieden worden“, sagt der an der Universität Dortmund unterrichtende chinesische Raumplaner und Staudammexperte Weilou Wang. Als Beispiel nennt er den Dongting-See westlich der zentralchinesischen Industriemetropole Wuhan. Der Dongting, einst Chinas größter See, ist mit dem Jangtse verbunden und dient ihm bei Hochwasser als Ausgleichsreservoir.

Aus den Lokalchroniken geht hervor, daß der See vor der Zeit der Ming-Dynastie (1368–1644) 14.000 Quadratkilometer groß war. Damals gab es nur alle 83 Jahre eine Hochwasserkatastrophe. In der Ming-Zeit wurde die Fläche des Sees auf 6.200 Quadratkilometer reduziert. Es kam dann bereits alle 20 Jahre zu großen Überschwemmungen. 1949 betrug die Fläche des Sees; noch 4.350 Quadratkilometer, Anfang der 80er Jahre jedoch nur noch 2.740. Kam es ab dem 19. Jahrhundert bereits durchschnittlich alle fünf Jahre zu Hochwassern, so gab es in letzter Zeit fast jährlich große Überschwemmungen. In den vergangenen zehn Jahren gab es nur 1992 und 1994 keine Überschwemmungen, die wie in diesem Jahr als „Jahrhunderthochwasser“ bezeichnet werden.

Die Landgewinnung am Dongting ist kein Einzelfall. Ähnlich erging es auch dem Poyang-See zwischen Wuhan und Nanking, der auch als Auffangbecken für den in China „langer Fluß“ genannten Jangtse dient. Dongting und Poyang wurden immer wieder verkleinert, um Anbauflächen für die Landwirtschaft zu schaffen, die eine wachsende Bevölkerung ernähren muß. Gab es in der Provinz Hubei, die früher einer Seenplatte glich, in den 50er Jahren noch 1.332 Seen, sind es heute nur noch 843.

„Entlang der Flüsse hat die Verminderung der Auen durch die Kanalisierung und in den Städten die zunehmende Versiegelung der Böden zum Anstieg der Fluten beigetragen“, sagt Wang. Zudem haben Abholzungen an den Berghängen an den Oberläufen der Flüsse die Wasserspeicherkapazität reduziert. 40 Prozent des Einzugsbebiets des Jangtse sind von Bodenerosion betroffen. Je mehr Schlamm sich im Flußbett ablagert, desto höher steigt die Flut. „In diesem Jahr ist der Regen nicht so stark wie bei der bisher schwersten Flut 1954, aber der Wasserstand ist bereits höher“, so Wang.

Auch die Instandhaltung der Deiche ist ein Problem. Waren zu Maos Zeiten dafür die Volkskommunen zuständig, so lassen sich seit der Privatisierung der Landwirtschaft Ende der 70er Jahre die Bauern nicht mehr einfach mobiliseren. Für die großen Flüsse ist Peking zuständig, für die kleinen die Lokalregierungen. Sie investieren jedoch lieber in die lokale Wirtschaft als in Hochwasserkontrolle und Deichbau. Gegenüber Medien in Hongkong beklagten sich Anwohner jüngst auch über Korruption und Zweckentfremdung der für die Instandhaltung vorgesehenen Mittel.

„Seit zwanzig Jahren werden die Deiche nur notdürftig geflickt“, klagt Wang. „Die Regierung in Peking vernachlässigt die Deichinstandhaltung, weil sie statt dessen in den Dreischluchten-staudamm investiert.“ Mit dem größten Staudammprojekt der Welt will Peking die Überschwemmungen kontrollieren. Der Megadamm gilt als Lieblingsprojekt des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Vorsitzenden des Nationalen Volkskonreßes, Li Peng, einem gelernten Wasserbauingenieur. Doch Kritiker halten das Projekt als ungeeignet zur Hochwasserkontrolle. Wang: „Das Hochwasser kommt nicht vom Oberlauf des Jangtse, sondern hauptsächlich von den Nebenflüssen unterhalb des Damms.“ Sven Hansen