Showdown in Gröpeltown

■ Kein Studium beendet, jede Lehre geschmissen, noch nie einen Film gedreht: Zumindest das letzte will Holger Schielsky nun ändern. Er verfilmt mit LaiendarstellerInnen sein eigenes Drehbuch

Randy mutiert zu Candy. Aus dem schmierigen Ricky Ibiza wird nun die schmierige Terry Tropez. Und auch die Mafia wird nicht wie ursprünglich geplant von einem Mann geführt, sondern gehorcht dem unbarmherzigen Diktat von Cucina Di Lambretti. Und warum das alles? Schuld daran sind wieder mal nur die Frauen.

Die nämlich meldeten sich überproportional häufig auf die Zeitungsanzeige von Holger Schielsky, mit der dieser in den vergangenen Wochen LaiendarstellerInnen für seinen geplanten Low-Budget-Film gesucht hatte. Schlecht, wenn man wie Schielsky eigentlich einen klassischen Gangsterfilm mit vielen tumben, coolen und verwegen dreinblickenden Männern in den Hauptrollen drehen wollte. Gut, weil Holger Schielsky in jeder Hinsicht flexibel ist. Und da er mit dem Regisseur, dem Drehbuchautor, dem Kameramann, dem Cutter, dem Regieassistenten, dem Beleuchter und dem Produzenten seines Films immer einer Meinung ist – ein und derselbe Schielsky füllt alle diese Rollen gleichzeitig aus –, hat er sich kurzentschlossen umorientiert und dreht nun ein Gangsterinnenfilm. Mit vielen tumben, coolen und verwegen dreinblickenden Frauen in den Hauptrollen.

Schielskys fast hundertseitiges Drehbuch verliert dadurch nichts. Ohnehin zeichnen sich die Figuren von „Ramon's Flakes“ – benannt nach den Frühstücksvorlieben der Hauptdarstellerin Candy Buhster – nicht durch ein facettenreiches Profil oder ein kompliziertes Seelenleben aus. Sie gehorchen vielmehr dem Diktum ihres Schöpfers: „Mensch mit Pistole läuft durchs Bild – fertig ist der Gangsterfilm“. Es versteht sich von selbst, daß unter dieser Bedingung Meteoriteneinschlagsfilme als Genre wegfielen: „Die sind technisch einfach zu aufwendig.“ Und Aufwand, den kann sich Holger Schielsky nicht leisten bei seinem Erstlingsfilm.

Insofern gestaltete sich die Auswahl der SchauspielerInnen nach geradezu zwingend einleuchtenden Kriterien. „Welche Kleidungsstücke hat die oder der im Schrank hängen?“ lautete eine der ersten Fragen Schielskys beim Casting. Denn vom Umfang der Garderobe der zukünftigen DarstellerInnen hängt ab, wie authentisch später „Ramon's Flakes“ die Unterwelt Bremens repräsentieren kann. Und wer das Treffen mit Schielsky nicht, wie einige männliche Interessenten, mit der Erwartung überforderte, der 30jährige beabsichtige einen intellektuellen Film zu drehen, dem war die Rolle in dem Streifen fast nicht mehr streitig zu machen.

Im Grunde hat Schielsky nur einer 17jährigen Jugoslawin abgesagt, die gemeinsam mit ihrer Mutter erschienen war und unbedingt die coole Killerin Juanita Escobar spielen wollte. „Die Mutter hat drei Kännchen Kaffee getrunken, das Treffen sabotiert und ständig gerülpst. Das hat mich aus dem Konzept gebracht.“

Ansonsten aber bringt Schielsky wenig aus dem Konzept. Gerade mal eine Videokamera besitzt er. Dazu noch ein Stativ „und ein paar Scheinwerfer aus dem Baumarkt“. Erfahrung im Filmgeschäft hingegen hat er nicht die geringste. Weder als Drehbuchautor, noch als Kameramann oder Regisseur. Statt dessen hat er viel Zeit im Kino und vor dem Fernsehgerät verbracht und dort viele genretypische Filme gesehen, in letzter Zeit mit besonderem Augenmerk auf Stilmittel und filmische Tricks. Das muß als Erfahrungsschatz reichen. Zumal Schielskys Anspruch bescheiden ist. Es genügt ihm, daß den ZuschauerInnen beim Ansehen seines Trashfilms „nicht nur Popcorn, sondern auch Blutwurst und Marsh-mellows schmecken“. Will sagen: Eine absurde Szene jagt die nächste, Storyboard und Dialoge trieben selbst einem virtuosen Flachdenker wie Helge Schneider ins geistige K.O. Und all das mündet schließlich in ein Happy end ohne Happy end mit einer zart angedeuteten lesbischen Romanze zwischen Candy und der Killerin Juanita Escobar – auch das eine Folge der geschlechtsspezifischen Neuausrichtung des Drehbuchs.

Was muß einem Menschen widerfahren sein, ehe er solche Geschichten in nur wenigen dunklen Wintermonaten aufs Papier bringt? „Ich bin Abbruchexperte“, bringt Schielsky drei Jahrzehnte geballte Arbeit an einer vorzeigenswerten Biografie auf einen wenig schmeichelhaften Nenner. Vier Studienversuche – zweimal Geografie, zweimal Jura – hat er vorzeitig beendet. Nicht besser erging es ihm bei seinen Versuchen, in den Lehrberufen „Kaufmann in der Grundstückswirtschaft“ oder „Außenhandelskaufmann“ den tieferen Sinn der Existenz auszumachen.

Es ist also beileibe nicht so, daß Holger Schielsky nichts richtiges werden wollte. Aber alle seine Versuche, Anschluß an die biedere Seriösität des Erwachsenenlebens zu finden, hat er „immer mit so viel Haß begleitet, daß es irgendwann nicht mehr weiterging“. Als das Arbeitsamt dem Fassungslosen kürzlich schließlich eine Umschulung zum Gas- und Wasserinstallateur nahe legte, „weil der Arbeitsmarkt solche Leute braucht“, hat er auch diese deprimierende Beziehung zum Arbeitsamt abgebrochen und sich dazu durchgerungen, das werden zu wollen, was ihm schon seit der Schulzeit mehr oder minder vorschwebte: Drehbuchautor.

10.000 Mark ist ihm die Realisierung seines Traumes wert. So hoch, schätzt er, wird der Etat sein, den er aufbringen muß, um „Randy's Flakes“ in den kommenden Wochen vor der Kulisse des Gröpelinger Hafengebietes und des Knoops Parks auf die Videokassette zu bannen. Schielsky hofft – übrigens ebenso wie seine leicht verzweifelten Eltern ... – daß der Film ihm später von großem Nutzen sein wird „als 'ner Art Gesellenstück oder Visitenkarte, die ich potentiellen Arbeitgebern dann vorlegen kann“. Selbst die Aussicht, als Drehbuchautor für Soaps zu enden, schreckt ihn nicht. „Wenn man mich nur in Ruhe läßt, kann ich mir mit Begeisterung den größten Blödsinn ausdenken.“

Zweifelsohne wird das Gesellenstück zuhauf wahre Perlen des schenkelklopfenden Witzes und inszenatorische Einfälle beinhalten, wie sie Quentin Tarantino nicht besser hätte entwickeln können. Allein der Umstand, daß Candy Buhster als Schaupielerin in der zweitklassigen Arztserie „Vorstadtgynäkologin“ arbeitet und als solche „Dr. E. Jakulat“ heißt, ist nicht frei von beträchtlichem Witz. Daß das Drehbuch zudem Drehs „bei schimmeligen Licht“ vorsieht, ist ebenso charmant wie Wortwechsel à la „Es heißt, man hat Ramon den Gangster in einem Frühstücksflockensilo gefunden. Aber das ist nicht ganz richtig. Ungefähr die Hälfte von ihm war schon verpackt und ausgeliefert.“ „Ich hab mir noch nie so viel aus Frühstücksflocken gemacht.“ Und die Szene schließlich, bei der einer Gefangenen die Flucht gelingt, weil ihr der Wärter beim Pinkeln auf ihr Hosenbein auch die Fesseln mit fesselnauflösender Harnsäure benetzt, hat gar gute Chancen, in der Hall of Fame der Drehbucheinfälle einen Ehrenplatz zu erobern.

Holger Schielsky ist guter Dinge, daß sein Filmprojekt ein voller Erfolg wird. Sorge macht ihm zur Zeit nur, „daß die taz schreibt: Da ist wieder so'n Idiot, der meint, Hollywood erobern zu wollen.“ Nein, das schreiben wir nicht. Denn Holger Schielsky will nicht nach Hollywood. Und er ist auch kein Idiot. Sondern ein ausgesprochen netter Mensch, der – wer weiß das schon – bald vielleicht auf eine glänzende Karriere zurückblicken kann. An deren Anfang ein kleiner, virtuos schlechter Film namens „Randy's Flakes“ alle Tore weit öffnete. Wasser- und Gasinstallateur: Pah! Die schlechtesten Witze schreibt hierzulande immer noch das Arbeitsamt. Franco Zotta

Natürlich besteht die Möglichkeit, Holger Schielsky auf seinem Weg nach – wenn schon nicht nach Hollywood, dann vielleicht sonstwohin – finanziell oder materiell zu unterstützen. Unter Tel.: 49 41 70 ist er zu erreichen. Drehbeginn ist am 2. August im Knoops Park