■ Zwergenaufstand vor der Münchner Oper: Skulpturen von Ottmar Hörl
: Symboldiebstahl

30 Grad Hitze vor der Oper. Zu Füßen des Gebäudes haben sich 2.200 Zwerge versammelt. 20 Zwergenlängen daneben schwitzen 300 Münchner in einer Warteschlage. Auch die 2.200 Zwerge schwitzen, schmelzen fast. Denn sie sind nicht aus Ton wie der gewöhnliche Gartenzwerg, sondern aus Plastik.

Auf einem blauen Samtsofa sitzt Ottmar Hörl, der „Zwergen- Vater“. 4.000 Exemplare montierte der 48 Jahre alte Künstler in sechs Tagen auf dem 3.000 Quadratmeter großen Max-Joseph- Platz. Seine Zwerge sind für Hörl Skulpturen. Sie sind rot, schwarz, weiß, gelb, blau und grün, und sie tragen Smoking, so wie die Opernbesucher. Weil alle Zwerge aus der Froschperspektive auf die Oper schauen und ihr mit der rechten Hand zuwinken, nennt Hörl sein Kunstwerk „Welcome“.

Inzwischen wurden die Zwerge wieder abgebaut, doch Hörl wollte die Figuren nicht sang- und klanglos in eine Kiste packen. Also plazierte er sie vor die Oper, für jedermann zu kaufen: 50 Mark pro Zwerg. Für einen guten Zweck. Das Geld geht an die Werner- Friedmann-Stiftung zugunsten in Not geratener alter Künstler und Journalisten.

„Der ,Blaue‘ ist etwas Besonderes“, so Hörl. „Das sind ,Buhzwerge‘. Sie zeigen mit den Stinkefinger. Innerhalb der homogenen Struktur der Bevölkerungszwerge gibt es eben auch diesen Typ, der eine negative Position in der Gesellschaft einnimmt.“ Von den aufmüpfigen Zwergen hatte der Künstler nur 40 zwischen den Tausenden von genormten Brüdern aufgestellt.

„Ich identifiziere mich mit keinem dieser Zwerge“, sagt Hörl und unterschreibt dabei Zwerg-Zertifikate. „Alles, was man zu sehr liebt, dem fällt man einfach zum Opfer. Es ist immer besser, Distanz zu seinem Kunstwerk zu haben. Mein Werk ist ein Kommunikationsmodell, das über seine Komplexität sehr viele Interpretationsmöglichkeiten bietet“, kommentiert Hörl und steckt sich eine Zigarette an. Auf den Platz kommt kopfschüttelnd ein älterer Mann. Verwundert schaut er die Gartenzwerge an: „Was soll denn das?“ Dann formuliert er mit polnischem Dialekt: „Die Deutschen haben schon immer eine Vorliebe für den Gartenzwerge gehabt. Er ist ein Symbol für ihr kleinbürgerliches Denken. In keinem Land der Welt würde für einen Plastikzwerg so eine Schlange von Menschen stehen. Die Leute haben nun ein Alibi: Sie haben dadurch, daß der Zwerg offiziell Teil eines Kunstwerkes ist, endlich doch einen Gartenzwerg. Der Deutsche als Spießer im Gewand der Schönen Künste.“ – „Naja, in Polen stehen die Leute dafür für was anderes Schlange“, kontert ein Mann im Anzug und gutsitzender Krawatte. Dabei schaut er den Polen mißmutig an.

Hörl, sichtlich verschwitzt, ist kurz von seinem Sofa aufgestanden und macht eine Pause. Er sagt leicht angesäuert: „Jeder hat das Gefühl, er weiß, daß dieser Zwerg in Deutschland für Spießigkeit, für Kleinbürgertum und für Schrebergärten steht. Das ist eine kollektive Verabredung, die so nicht stimmt. Weil für viele Menschen der Zwerg etwas völlig anderes bedeutet. Er bedeutet unter Umständen deutsche Romantik, er bedeutet Theater, Geschichten erzählen. Wir alle als Kinder haben uns sehr über diese Geschichten mit Zwergen gefreut. Für die Kinder ist das gar nicht dieses blöde Gesellschaftsspiel, was denken die Leute über wen: daß die Deutschen keinen Humor hätten, daß wir nicht ironiefähig wären.“

1.800 Zwerge sind vom Platz geklaut worden. „Ich habe extra Wachpersonal für mein Kunstwerk eingestellt“, sagt Hörl, „aber das kostete zuviel. Kaum kamen sie nicht mehr, wurden auch die Zwerge immer weniger.“ Hörl hat nachproduzieren lassen, aber die Firma schafft nur 200 Zwerge pro Woche. Deshalb hat er sich etwas einfallen lassen. Wer keinen mehr ergattert, bekommt einen Optionsschein. Dann kann er den Zwerg in der Galerie Kampl abholen. Sauer über den Kunstklau ist der Künstler nicht: „Wenn du dich in den öffentlichen Raum begibst, kannst du auch darin umkommen. Wenn wir im Straßenverkehr die Regeln nicht beachten, ist es aus.“ Inzwischen löst sich die Menschentraube auf. Hörls junger Assistent packt die Zwerge in Tüten. Über den Diebstahl äußert er sich mit den Worten: „Die Leute, die die Zwerge geklaut haben, begreifen gar nicht, daß sie sich selbst damit geklaut haben.“ Kerstin Brüggemann

Zwergverkauf: „Galerie Mathias Kampl“, München, Buttermelcherstr. 15, Tel. (089) 21938200