Geistlose Haltung

■ betr.: „Die Schule ist kein Bank schalter“ von Birgitt Bender, taz vom 21. 7. 98

[...] Wenn eine islamische Frau für sich entscheidet, ein Kopftuch als religiöses Bekenntnis tragen zu wollen, sollte man sie nach ihrer persönlichen Begründung fragen. Wenn diese Frau durch ihr Verhalten in Ausbildung und Unterricht zeigt, daß sie zu einer demokratischen Erziehung fähig ist, sollten keine Probleme aus dem Tragen des Kopftuches erwachsen.

Denn erstens würde damit gezeigt, daß man gerade auch bei religiösen Symbolen genau hinsehen muß, bevor man nur daraus Schlüsse über Weltanschauung zieht. Den Kindern und Jugendlichen kann hautnah gezeigt werden, daß auch kopftuchtragende Musliminnen weder hinter dem Mond leben noch ein fundamentalistisches Weltbild haben müssen. Wenn Frau Ludin bereit und fähig ist, ihr Kopftuch in der Schule zu diskutieren, halte ich ihre Einstellung im Gegenteil für eine große Chance innerhalb der Erziehung zu Toleranz und Interesse gegenüber anderen Lebenskonzepten. [...] Ulrike Bissels, Berlin

[...] Ich habe einmal einen katholischen Pfarrer sich darüber freuen sehen, daß die Türken ihre Kinder so gerne zu Nonnen in den Kindergarten schicken. Treffen sich da nun die fundamentalistischen Extreme oder warum hält der Türke denn die Nonne aus, die seine Kinder erzieht? Und werden nun auch Nonnen bekämpft, weil sie ja den reaktionären Kopftuch- Muslimen ein schlechtes Beispiel für ihre Mädchen geben? Man kennt sich nimmer aus. Frau Bender, plakatierern Sie! Bernd Oehler, Mannheim

[...] Von einer Muslimin, die Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule in Deutschland werden will, anstatt sich mit der von – konservativen! – islamischen Kreisen erwarteten Rolle der Frau zufriedenzugeben, haben deutsche SchülerInnen sicher keinen geistigen Schaden zu erwarten. Es ist, gelinde gesagt, schade, daß die Bemühungen dieser Frau an einem Stück Stoff scheitern. Täte es das nicht, so wäre das: Integration. Jan Rebenstorf, Kiel

Die gewundene Begründung, mit der die Grünen der Nichteinstellung einer muslimischen Lehrerin „mit Kopftuch“ in den Schuldienst von Baden-Württemberg zustimmen, stellt das „Fettnäpfen“ der Fünf-Mark-Benzinforderung absolut in den Schatten, denn hier offenbart sich eine geistlose Haltung. So sieht das also aus, wenn man den „Kampf“ um Persönlichkeitsrechte beim Tragen von Turnschuhen im Gerichtssaal und mit bunten Haarstränen auf der Richterband durchlitten hat. Derart freiheitlich gestählte Persönlichkeiten können das Tragen eines Kopftuchs natürlich nur als Provokation empfinden. [...] Aber selbst innerhalb der grünen Logik stellt sich ja gleich die Frage, ob die muslimische Lehrerin, dann natürlich ohne Kopftuch, beim Schulfest Würstchen und Bier verweigern darf, oder provoziert das nur (die Reihe möglicher „Provokationen“ ließe sich noch erweitern).

Die völlige Ahnungslosigkeit grüner Politik zeigt sich in der Aufforderung, möglichst sofort (den prinzipiell bei allen unstrittigen) islamischen Religionsunterricht in den Schulen einzuführen. Ausgerechnet in dieser sachbedingt äußerst schwierigen Diskussion soll ruckzuck entschieden werden. Wer auch nur ein bißchen informiert ist weiß, wie kompliziert der Diskussionsprozeß innerhalb der islamischen Gemeinschaft ist. Und gerade über die Richtlinien dieses Unterrichts muß auch mit den staatlichen Stellen gestritten werden, nicht aber über das Tragen eines Kopftuchs.

Es ist traugig, daß die multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft bei den Grünen in Baden- Württemberg genauso grau ist, wie bei den anderen Parteien, nur viel geschmackloser, weil sie uns als Beitrag zu mehr Demokratie und Persönlichkeitsrechten verkauft werden soll. [...] Andreas Fuhr, Berlin

[...] Frau Bender, was verstehen Sie unter Integration und Toleranz? Sie sagen: Frau Ludin plakatiert ihre eigene Überzeugung, lädt nicht zum Diskurs ein, konfrontiert nur und tut der Demokratie keinen Gefallen. [...] Nach meiner Meinung sind Sie nicht in der Lage, einen offenen Diskurs zu führen.

Denn: Sie haben schon lange entschieden, was Emanzipation ist. Demnach ist eine Frau, wie Frau Ludin, nach Ihrem eurozentrischen Bild der Gleichberechtigung unemanzipiert. Es stimmt mich wütend und traurig zugleich, daß Sie in solchen Kategorien und Vourteilen denken und handeln und so die realen, komplexen Zusammenhänge einseitig verengen. Nach meiner Meinung zeigt Ihre Rede, daß Sie Ihre Interpretation von Gleichberechtigung unzureichend reflektieren. Ihre Aussagen zu Integration und Toleranz werden dann zu leeren Worthülsen. Anscheinend ist Integration für Sie gelungen, wenn muslimische Frauen ihr Kopftuch ausziehen. Sie klammern sich an der Macht fest, als deutsche Frau zu definieren, wann nicht-deutsche Frauen emanzipiert sind.

Von Ihnen und der Mehrheit der Partei Bündnis 90/ Die Grünen bin ich sehr enttäuscht. Geben Sie Ihrer Partei doch ein klares Profil: schützen Sie konsequenter die (Persönlichkeits-)Rechte von Minderheiten!

Zur Klarstellung: Ich bin Sozialpädagogin, Türkin, emanzipiert, nicht-kopftuchtragende gläubige Muslimin und mit einem deutschen, christlichen Mann verheiratet. Sema Tunç, Köln

Daß es keine Neutralität gibt, hat nicht nur der Feminismus immer wieder nachgewiesen, und daß Demokratie keine Gleichberechtigung ermöglicht, zeigt der Artikel von Birgitt Bender. Warum unterscheidet sie zwischen „Halskontrolle“ sprich Kreuztragen und Kopftuch? Sie wertet das Kopftuch stärker, aber liefert dafür keine Argumente. Bei dieser Debatte geht es doch nicht um die Alternative Kleider oder Schmuck, sondern um die Frage Islam oder Christentum. Ginge es um Kleiderordnung müßten sich Männer fragen lassen, warum sie ihre Brust nicht immer (zum Beispiel beim Schwimmunterricht) bedecken, Frauen aber schon. Ist die weiße, christliche Lehrerin hier etwa nicht unterdrückt und gleichberechtigt?

Oder wie sieht es mit der christlichen Ehe aus. Gewalt in der Ehe, ja sogar Vergewaltigung in der Ehe sind in Deutschland an der Tagesordnung. Wurde je verboten, einen Ehering zu tragen? Die Schülerinnen könnten das doch als Zeichen der Unterdrückung der Frau, als plakative Propaganda für heterosexuelle Unterdrückung verstehen. Mir scheint die Debatte wird auf der falschen Ebene geführt. Hier geht es nicht um Schmuck oder Kleidung. Hier geht es auch nicht um Neutralität – denn an welcher Schule wird Weihnachten nicht erwähnt und Ostern verschwiegen? Hier geht es um Ausgrenzung und Beurteilung des Fremden. Das Kreuz wurde schließlich nicht abgelehnt, weil es sich um ein Folterinstrument handelt oder die Rede über das Abendmahl als Kanibalismus (Trinken von Blut und Essen von Menschenfleisch) verboten, sondern in den Religionsunterricht verlagert, wie es auch Birgit Bender fordert. Schön getrennt, damit die christlichen Kinder keinem schlechten Einfluß von Frauenunterdrückung unterliegen.

Würden die Grünen wirklich Demokratie fordern, müßten sie geradezu wünschen, daß eine Lehrerin ein Kopftuch trägt. Die Unterschiedlichkeit gibt den Kindern doch erst die Möglichkeit, eigenständig zu denken. Wenn Kinder nur eine Religion, eine Lebensform und eine Kleiderordnung kennenlernen, werden sie nicht herausgefordert, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und zu verantworten. Rose Killinger,

Bildungsreferentin, Hamburg

betr.: „Die falschen Propheten“ von Zafer Șenocak, taz vom 24. 7. 98

Zafer Șenocak argumentiert für das Kopftuch, weil er es als religiöse Pflichterfüllung verstanden wissen möchte. Gerade deswegen lehne ich es ab. Jede patriarchalische Religion, die Frauen andere, strengere Pflichten vorschreibt als den Männern, ist für mich verachtenswert und verdient nicht, daß man ihr Toleranz entgegenbringt. Hierin mache ich keinen Unterschied zwischen Christentum, Islam und Judentum.

Herr Șenocak informiert darüber, wie der wahre Islam aufzufassen ist. Wenn ich dahinter ein Zwangssystem vermute, wird mir Uninformiertheit unterstellt. Trotzdem glaube ich, daß viele Frauen nicht die beschriebene Stufe theologischer Einsicht erreichen, sondern sich dem Kopftuchbrauch fügen, weil es immer so war und den Männern daran liegt.

[...] Auch das Argument, daß die Schule ein öffentlicher Raum ist, ist nicht akzeptabel. Die Schule ist Pflicht und damit unausweichlicher Lebensbestandteil der Schülerinnen und Schüler, ebenso wie die Familie. [...] Name und Anschrift sind

der Redaktion bekannt

So oder so, gewinnen konnten nur die fanatischen Islamisten. Zafer Șenocak behauptet: „Berufsverbot – für Islamisten kann es kein besseres Kampfmotiv geben.“ Richtig. Aber hätte Frau Ludin ihr Kopftuch im Unterricht behalten dürfen, hätten die Islamisten genauso den Sieg davon getragen, denn sie hätten diese natürlich zum Anlaß genommen, um Millionen von Frauen das Tragen des Kopftuchs aufzuzwingen. Daß das Kopftuch zum Symbol von Unterdrückung und Terror geworden ist, ist eine Tatsache, die auch Frau Ludin bekannt sein dürfte – selbst wenn das Kopftuch für sie persönlich etwas anderes darstellt. Allein mit ihrer Forderung bzw. Kraftprobe (unabhängig vom Ergebnis) hat Frau Ludin somit fanatischen Eltern und Terrorregimen willkommene Argumente zugespielt, um Mädchen und Frauen weiter zu unterdrücken. [...] Marie-Antoinette de Contes,

München

betr.: LeserInnenbriefe, taz vom 27. 7. 98

Wenn ich die heutigen Leserbriefe mir so anschaue, dann scheint der Fall eingetreten zu sein, daß seit der Drucklegung meiner – älteren – Koranausgabe einige Veränderungen eingetreten sind: es will und will sich jedenfalls in meiner Schrift kein Kopftuchhinweis zeigen. Die Stellen, die frau bedecken soll, befinden sich viel weiter unten.

Das Kopftuchdrama hat für mich nichts mit Unterdrückung der Religionsfreiheit im allgemeinen und dem Islam im besonderen zu tun. Für mich zeigt dieser Fetzen Stoff nur, welcher Richtung die Trägerin oder der Befürworter verhaftet ist, ist aber kein Ausdruck des Islam. Silvana Beer, Hildesheim

betr.: „Unsere grüne Leitkultur“ von Micha Brumlik, taz vom 27. 7. 98

Da freut sich die SS-Taliban, die gerade ihren Massenmord vorbereitet und Khomeini lächelt von der für das Haus des Satans bestimmten Mittelstrecken-Rakete. Die Toleranz öffnet ihre Jacke, zeigt auf ihr gutes Herz und ruft: „Schieß doch!“ Gibt es ein größeres Vergnügen für Menschenverachtung als eben das zu tun?

Ein islamisches Kopftuch ist kein rußland-deutsches Kopftuch und kein sizilianisches Altertum. Nicht einmal islamisch. Es ist eine Uniform. Und zwar die einer terroristischen Weltanschauung. Und wo ich die Bestrahlung freier Köpfe durch ein Kreuz an der Klassenwand ertrage, so kommt mir eine weit größere Abneigung beim Anblick militanter Absichtserklärungen von den Uniformen Kopftuch (und verstecktem Grinsen wie „No ma'aams“) und Glatze, die eben auch nicht mehr Ausdruck von Person ist, sondern des Willens zu deren Vernichtung. Soll doch jeder Zerstörte sich nach seinem Genuß von Kopftuch oder Glatz stramm ziehen lassen. Aber für die Freiheit von Abhängigen vor dem Einschieben in eine Marschkolonne sind BürgerInnen und Einrichtungen der Republik verantwortlich. Klaus Wachowski, Alzey