Auf der Flucht vor serbischem Feuer

■ Die Kämpfe im Kosovo dauern an. Seit Tagen irren Tausende Kosovo-Albaner in panischer Angst vor den Angriffen der serbischen Einheiten durch die Region Drenica. Aus Llikovc Erich Rathfelder

Auf der Flucht vor serbischem Feuer

Im Schatten der Bäume, entlang des Flüßchens Klina, lagern die Menschen, als seien sie zum Picknick da. Bei näherem Hinsehen jedoch wird das ganze Ausmaß der Tragödie klar. Unter einem der Bäume sitzt die Familie Berisha. Die Erwachsenen liegen apathisch im Gras, die Kinder greinen. „Wir haben nichts mehr zu essen, nichts mehr zu trinken“, sagt Isim Berisha. Vor zwei Tagen ist der junge Mann aus dem Dorf Giyerjevika geflohen, mit seiner Frau, den Kindern, den Großeltern und einigen Geschwistern. Mit dem Auto und einem Karren ist die Familie an diesem Samstag nachmittag hierhergelangt, an diesen Fluß in der Region Drenica, die von serbischen Polizisten und der jugoslawischen Armee belagert wird.

Etwa 5.000 Menschen lagern in dem langgestreckten Tal nördlich der Strecke zwischen Pec und Pristina. Und sie alle erzählen sich ähnelnde Geschichten. Wie Uka Tafelei und seine Frau Shaka. Seit Tagen schon irren sie durch diese Region, die noch zu den von Kosovo- Albanern kontrollierten Gebieten gehört. Sie sind aus dem Dorf Starica geflohen, als ihnen die Granaten um die Ohren flogen. Sie haben alles stehen und liegen lassen, nicht mal das Vieh konnten sie mitnehmen. „Wir liefen nur in den Wald.“ Und von dort konnten sie sehen, wie die serbischen Soldaten ihr Haus und die Häuser der Nachbarn ausraubten, mit Benzin übergossen und anzündeten.

Von einem Hügel knapp einen Kilometer weiter kann man Rauchsäulen aufsteigen sehen: Acht brennende Dörfer sind von dieser Stelle aus in südwestlicher Richtung zu erkennen. Immer wieder arbeiten sich Flüchtlinge auf den staubigen Wegen nach Acareva vor. Auf Pferdekarren sitzen sie dicht aneinandergedrängt, die alten Frauen, die Kinder, die weinenden Mütter. Stumm sitzen sie da, starren in die Ferne, dorthin, von wo sie gekommen sind.

Das Dorf Acareva ist für viele eine Anlaufstelle geworden. Hier stehen noch die schmucken Anwesen, die nach albanischer Sitte von Mauern umgeben sind. In den Innenhöfen drängeln sich die Menschen. In einem jener Häuser leben normalerweise 15 Personen. Jetzt machen sich hier etwa 100 Menschen zu schaffen. Die Frauen kümmern sich um die offenen Feuer, um das Wasser, das sie aus dem tiefen Brunnen holen. Eine von ihnen ist die 33jährige Sanije. Ihr Bruder wurde erschossen, zwei andere verwundet, als die Serben am Samstag morgen ihr Dorf angegriffen haben. Jetzt sitzt sie im Schatten der Bäume und kümmert sich um die Kleinsten. Ihr Mann, so berichtet sie mit Tränen in den Augen, „ist zum Kämpfen gegangen.“ Er habe sein Gewehr genommen und verteidige jetzt das Land und „unser aller Leben“.

In hohem Tempo fährt ein Auto der UCK, der Kosovo-Befreiungsarmee, durch das Dorf. Es fährt wohl dorthin, wo die Häuser brennen. Verzweifelt versuchen die Albaner, eine Verteidigungslinie aufzubauen. Auch Akim zieht jetzt los. Der ehemalige Student der Literaturwissenschaften, der zwei Jahre lang in der Schweiz gelebt hat, bis der Krieg hier ausbrach, sagt, „eigentlich bin ich kein Soldat“. Doch auch er sieht genau, wie verzweifelt die Lage ist. „Wir haben doch keine Waffen und keine Munition. Wie sollen wir da die serbischen Panzer und die Artillerie aufhalten.“

Llikovc heißt das Dorf, das im Zentrum der noch von der UCK kontrollierten Region Drenica liegt. Deutlich sind von hier aus die Einschläge der Artillerie zu hören. In Llikovc ist die Kommandantur der Kosovo-Albaner. Hier lebt auch Tom, der gerade über Satellitentelefon seinen Bericht an das albanische Radio durchgegeben hat. In perfektem Englisch erläutert der Journalist und Schriftsteller, der jahrelang in New York lebte, die Lage. „Mindestens 20 Dörfer brennen in Drenica, und stündlich werden es mehr.“ Und er zählt die Namen der Orte auf: Klina, Kotori und Vitak, Radisheve und Kastriot, Lunike und Suhogerell. „Und noch mehr. Nehmen wir mal an, in jedem Dorf gibt es 100 Häuser, in jedem Haus 15 Personen. Dann hast du schon 30.000 Flüchtlinge seit gestern.“ Da jedoch auch diese Dörfer vorher Flüchtlinge aus anderen Regionen aufgenommen haben, seien es weit mehr.

Der Abend senkt sich über das Land. Elektrizität gibt es für diese Dörfer schon seit fünf Monaten nicht. In der einzigen Bar trinken einige Männer Bier, die Vorräte dürften jedoch bald zur Neige gehen. Fanta und Cola sind noch zu haben, auch Zigaretten. Die Verkäufer an den Marktständen, wo es Tomaten und Paprika zu kaufen gibt, räumen ihre Sachen zusammen. Manche verschenken ihre Ware an die herumstehenden Flüchtlingskinder, die eilig mit dem unverhofften Geschenk zu ihren Familien laufen.

In der Nacht ist kein Laut zu hören. Als dann aber morgens die ersten Artilleriegranaten einschlagen, schrecken die Menschen auf. Besorgte Blicke richten sich in die Ferne. Doch die Angst vor dem drohenden Unheil wird verdrängt. „Du mußt einfach normal weiterleben, sonst wirst du verrückt“, sagt der Gastgeber zum Abschied.

Bald schon herrscht auf den Straßen reges Treiben. Auch Begu ist unterwegs, der Sprecher der UCK vor Ort. Seinen richtigen Namen möchte der 30jährige nicht verraten, Begu ist sein Kriegername. Noch ist er optimistisch. „In Malishevo haben wir einen taktischen Rückzug angetreten.“ Der Krieg fordere viele Opfer, die humanitäre Lage der Flüchtlinge sei verzweifelt. „Hier hat sich noch keine humanitäre Organisation blicken lassen. Wo bleibt Europa, was machen die USA? Niemand will uns helfen. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“