Wenn der Angriff baden geht

Leben in der Bundesliga (XVII): Beim Kanupolo landen die richtig guten Spieler nicht im Wasser. Die Akteure des Titelaspiranten 1. Meidericher KC kleben im Boot  ■ Von Ulrike Bohnsack

Duisburg (taz) – Ein wirklich lauschiges Plätzchen ist an diesem Abend der kleine See an der Duisburger Regattabahn. Jedenfalls scheint das für einen Moment so. Doch dann wird die Idylle mit Sonnenuntergang gnadenlos abgepfiffen. Rhythmisch und nervtötend schrillt es aus der Trillerpfeife. „Eins, zwei, eins, zwei, Tempo, Tempo!“ bellt eine Stimme hinterher. Zehn behelmte Kanuten tun dem Beller im Trainingsanzug den Gefallen und wetzen, was das Zeug hält. Hin, Wende, zurück.

Wasser spritzt auf, knirschend schubbern die Kajaks aneinander, als zwei Spieler dasselbe Ziel haben. Die blaue Schwimmweste gewinnt, sichert den Ball mit der Längsseite des Bootes ab und überlegt kurz. Ball bunkern ist nicht, innerhalb fünf Sekunden muß der einen Meter weit bewegt werden; ob mit Paddel oder Hand, ist egal. Fünf Sekunden, in denen der Kontrahent unangenehm mit dem Kajak drängelt und mit der offenen Hand herzhafte Schubser austeilt.

„Daß der Ballführende im Wasser landet, passiert nicht. Jedenfalls nicht in der Bundesliga. Die Spieler kleben im Boot“, sagt Hans Günther, der als Trainer des 1. Meidericher Kanu-Clubs (MKC) das Geschehen überwacht. Dem anderen mit dem Paddel eins überzubraten ist natürlich verboten. Die Attacke des Gegenspielers hat in diesem Fall dennoch Erfolg. Der Querpaß kommt nicht sauber, schon lassen zwanzig dicke Arme – Muskeln sind das Kapital, um beim Spurt nicht zu verhungern – die Paddel über das Wasser fliegen. Im Sprint auf das andere Tor wird der Ball mit dem Blatt vorgelegt. Dann ein Griff zum Ball, Wurf – und Tor. „Solche Ballverluste sind gefährlich“, sagt Günther trocken.

„Jetzt mit Ball!“ schreit er dann, und folgsam wird das Spielgerät mit dem Paddel über die 30 x 35 Meter große Absperrung getrieben. Dann folgt ein weiter Wurf auf den Mitspieler. Doch die Flanke kommt nicht an, der Gegner pflückt den Ball mit dem Paddel vom Himmel – Kontermöglichkeit. In eins der beiden 1 x 1,50 m großen Tore, die 2 Meter überm Wasser hängen, soll der Ball rein. Aber daraus wird nichts. Das hocherhobene Paddel des Torwarts läßt den ganzen Angriff mit einem lauten „Platsch“ baden gehen.

Zufrieden blickt Günther auf die schnaufenden Kanuten. Die Schinderei dient einem nahen Ziel: Ein Bundesligaspieltag und sechs Matchs trennen den Tabellenzweiten Meidericher KC von der siebten deutschen Meisterschaft. Doch daß der Klub sich wie im letzten Jahr mit dem dritten Platz begnügen muß, ist genauso möglich. Der Tabellenführer ESV Cottbus und der Dritte VMW Berlin wollen den Titel auch, alle drei Teams sind punktgleich.

Die Meidericher Marschroute für das kommende Wochenende ist klar. Schnelles Offensivspiel in den ersten vier Begegnungen, dann die übrigen zwei Spiele aus einer verstärkten Deckung angehen. Denn als sei mit dem Dreierpack an der Tabellenspitze der Spannung noch nicht Genüge getan, trifft der MKC in seinem vorletzten Match auf Berlin und zur dramatischen Krönung dann auf das Team aus Cottbus.

Die gewählte Taktik können die Meidericher bei Bedarf auch kurzerhand über den Haufen werfen. Wie beim Eishockey dürfen die fünf Feldspieler fliegend wechseln, drei Mann harren in der Auswechselzone.

Natürlich sind Kanupolospieler reine Amateure. So kann die Nationalmannschaft vor der WM in Portugal im September gerade ein Trainingslager abhalten. Mitfahren werden nicht ausschließlich die Besten, sondern auch die, die sich beruflich frei machen können und bereit sind, selbst Geld beizusteuern. Dennoch: „Die Leistungsdichte in der Bundesliga ist groß. Jeder kann jeden schlagen“, sagt Harald Kühne, Ex-Bundestrainer und Sprachrohr des Meidericher Traditionsvereins. Dann lobt er gebührend – und, falls die Meisterfeier ins Wasser fallen sollte, auch zur Sicherheit – das herzerfrischende Polo der Cottbuser, nicht ohne ein schnelles „Eigentlich wären wir mal wieder mit dem Titel dran“ hinterherzuschieben.

Der Untergang eines Kanus ist ein leider seltenes Schauspiel. Daß es das Auge des Zuschauers mehr erfreut als eine Kenterrolle zur Ballsicherung bleibt an diesem Abend unbestätigt. Emsig reißen die Titelaspiranten in ihren Kanus Spurts an, üben weiter taktische Varianten, Flügelspiel und schließlich auch das Penalty-Werfen. Das macht Sinn: Bei den Penalties waren den Meiderichern vor wenigen Wochen im Finale des Deutschland-Cups die Arme schwer geworden. Der Sieger hieß dadurch ESV Cottbus.