Juden in der DDR – eine machtkritische Bilanz

■ Ulrike Offenberg zeichnet den Würgegriff der SED auf die jüdischen Gemeinden nach

Die Perfidie ist nicht zu überbieten: Ein SA-Mann gibt sich nach 1945 als Jude aus und leitet die Jüdische Gemeinde in Zittau. Häufiger waren die jüdischen Gemeinden in der DDR jedoch einer anderen Form des Machtmißbrauchs ausgesetzt: Mitglieder mit leitender Funktion spitzelten für die Staatssicherheit – um nach der „Wende“ weiterhin in Führungspositionen tätig zu sein. Den Spitzeldienst belegen die Staats- und Parteiakten der ehemaligen DDR. Ulrike Offenberg konzentriert sich auf diese erst seit kurzem zugängliche Quelle, um die Entwicklung der jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR von 1945 bis 1990 zu beleuchten. Unter Einbeziehung bisheriger Forschungen zu jüdischem Leben hat sie nun erstmalig detailliert die Korrespondenzen und Gesprächsprotokolle zwischen Funktionären jüdischer Gemeinden und staatlichen Institutionen ausgewertet. Diese entstammen nur den staatlichen Archiven; die jüdischen Gemeinden hingegen untersagten Offenberg den Einblick. Die Grundthese der Autorin: Es hat eine über das notwendige Maß hinausgehende Zusammenarbeit stattgefunden.

In ihrem Buch „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“ zeichnet Offenberg chronologisch den mühseligen Aufbau der jüdischen Gemeinden ab 1945 nach. Mühevoll, weil die anfänglich dreizehn Gemeinden immer weiter schrumpften und zugleich an Überalterung litten. Mühsam auch, weil erst in den 50er Jahren staatliche Gelder für den Aufbau von Synagogen und zur Unterstützung der Gemeinden zur Verfügung standen. Demütigend war zudem die Rückgabe- und Entschädigungspraxis der DDR. Trotz monatlicher Rentenversorgung der „Opfer des Faschismus“ blieb „Wiedergutmachung“ bis zuletzt ein Fremdwort: „Von den Nazis „arisiertes“ jüdisches Privat- und Kommunaleigentum wurde lediglich von unrechtmäßigem Eigentum des Deutschen Reiches in unrechtmäßiges sozialistisches „Volkseigentum“ umgewandelt.

Nach 1948 verschärften sich die antisemitischen Grundtöne in der DDR. Der von der Sowjetunion in Prag inszenierte antisemitische Schauprozeß gegen Rudolf Slánský, Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, löste 1953 eine Reihe Verhaftungen unter den in der DDR lebenden Juden aus. Infolge der Fluchtwelle verloren die ohnehin kleinen Gemeinden ihre Leitungen und viele Mitglieder.

Nach den detail- und namensorientierten ersten Kapiteln stößt man zum Kern des Buches vor. Den Appell „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“ richtet Offenberg zunächst gegen „die Instrumentalisierung der jüdischen Gemeinden“ durch die Partei. Denn spätestens nach den ersten Antisemitismus-Vorwürfen erkannte die SED „die innen- wie außenpolitische Bedeutung der jüdischen Gemeinden als Indikatoren für den antifaschistischen und Religionsfreiheit garantierenden Charakter der DDR“. Bis zum Ende der DDR besetzten die SED und das für „sozialistische Staatsbürger jüdischen Glaubens“ zuständige Staatssekretariat für Kirchenfragen viele der 1953 frei gewordenen Leitungspositionen in den Gemeinden mit SED-Genossen. Die Staatssicherheit wirkte ebenfalls auf Kooperation hin. Scharf kritisiert Offenberg die andere Seite der Medaille: die willige Zusammenarbeit dieser Gemeindevorsitzenden mit dem Staat. Mitgliederlisten wurden herausgegeben und sogar Schlüssel für die Gemeinderäume. Doch beteiligten sich an der Akklamation sozialistischer Staatspraxis auch parteiunabhängige Juden. Offenbergs „Seid vorsichtig gegen die Machthaber“ versteht sich also auch als Warnung der „einfachen“ Gemeindemitglieder vor den eigenen Repräsentanten. Doch sind Haltung und Verhalten der Mitglieder selber kein Thema für die Autorin – ein Manko nicht nur des Buches, sondern auch der Methode, die Erforschung jüdischen Gemeindelebens auf die Staats- und Parteiakten zu konzentrieren. Denn die zeigen nur den von oben gewünschten Blickwinkel. So fragt sich der uneingeweihte Leser, ob die Basis eine Haltung der Gemeindeführungen billigte, die eine die Juden benachteiligende Staatspraxis nicht nur ängstlich tolerierte, sondern bis zuletzt mittrug. Inwiefern fühlten sich die Gemeinden durch die staatliche Einmischung in ihren Interessen tatsächlich benachteiligt, beispielsweise in der Ausübung ihrer Religion?

Immer wieder verweist Offenberg mit spitzem Unterton auf den hohen Assimilationsgrad deutscher Juden. Vor allem die Gemeindefunktionäre hätten „in Ermangelung religiöser oder kultureller Bindungen an das Judentum [...] den staatlich propagierten Antifaschismus als Identifikationsersatz“ angenommen. Hierin sieht Offenberg das Grundübel: „Ihnen fehlte das Verständnis für das Wesen von Gemeinden, die sich vornehmlich kultischen, sozialen und kulturellen Zwecken widmen und dabei auch eine gewisse Staatsferne wahren.“ Konkurrenzen werden spürbar. Konkurrenzen, wie sie Offenberg beschreibt zwischen der privilegierten Jüdischen Gemeinde von Groß-Berlin (Ost- Berlin) und dem Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Oder zwischen den Jüdischen Gemeinden in Ost- und West-Berlin.

Neben Machtfragen spielt die Frage nach spezifisch jüdischer Tradition eine entscheidende Rolle. Doch hier wird Offenberg parteiisch, denn sie hat aufgrund familiärer Bande an der Wiedereinsetzung der (so von ihr bezeichneten) „liberal-orthodoxen“ Israelitischen Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin mitgewirkt. Hier attackiert die Autorin deren Gegner, beispielsweise den Monopolanspruch Heinz Galinskis, langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, ohne jedoch die Hintergründe des Konfliktes in für Außenstehende objektiver und verständlicher Weise zu erläutern.

Der Leser weiß am Ende, daß sich die jüdischen Gemeinden der Aufarbeitung ihrer DDR-Vergangenheit verschließen. Er weiß auch, daß Offenberg personelle Kontinuitäten in den Gemeindeleitungen nach der Wende kritisiert (und welche). Er fragt sich aber, an wen sie das Buch richtet und ob es nicht eigentlich um einen Richtungskampf zwischen den jüdischen Gemeinden geht. Denn hierfür geben die Akten genug Stoff her. Isabel Fannrich

Ulrike Offenberg: „Seid vorsichtig gegen die Machthaber. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945 bis 1990“. Aufbau- Verlag, Berlin 1998, 334 Seiten, 39,90 DM