■ An den Hochschulen ist es nach den Winterstreiks ruhig geworden. Neues entsteht an unerwarteter Stelle – in ambitionierten Privatunis
: Die neue Internationale

Auf den Lucky Streik im Winter 97/98 folgte ein lautloser Uni-Sommer, ein Semester der Ruhe, ja des Schweigens. Nach der Streikfolklore nun der Exodus, das Auswandern der Studenten aus den Unis, die sie nur noch aufsuchen, wenn es ihr Scheinstudium unbedingt verlangt. Die Hoffnung der Studienanfänger, nach 13 Jahren Schule in der Uni nun endlich ernst genommen, vielleicht sogar begeistert zu werden, ist nach wenigen Wochen verflogen. Sie glauben nicht mehr, daß es Sinn hat, hier den abwesenden Geist einzufordern. Nach 68 ging jede Erstsemesterrevolte schneller vorüber. Jedes Aufbäumen hinterläßt weniger Spuren, und privates Durchwursteln ist bald ohne Alternative. Das Versprechen von Utopie, das in jeder Theorie und in der Institution Universität selbst lag, ist fast verschwunden. Bleiben nur Desinteresse und Verwahrlosung?

In diesem verschlafenen Sommersemester wurde die Stafette der Kritik von Universitätsspitzen und von der Ministerialbürokratie übernommen. Man reibt sich die Augen. Überall werden private, internationale Universitäten gegründet. Manche Konzepte können sich sehen lassen. Man sollte sie jedenfalls erst mal zur Kenntnis nehmen, trotz naheliegender Vorbehalte gegen Privatunis. Voran geht das alte Reformnest Bremen. Dort initiiert der Bremer Senat in Zusammenarbeit mit amerikanischen Hochschulen (unter anderem mit dem Massachusetts Institut of Technlogie, MIT) die private „International University Bremen“.

Der Stadtstaat treibt das Projekt mit mehreren 100 Millionen Mark stürmisch voran. Es soll eine Universität werden, für die das übliche Uni-Elend nicht gilt. Sie soll multipliziert werden, so steht es im Gründungskonzept. Sie wird interdisziplinär und übersichtlich sein. Die besten Wissenschaftler werden sich die besten Studenten aussuchen. 1.200 Studierende sollen mit 100 Wissenschaftlern zusammen forschend lernen, wie es sich Humboldt einst dachte und wie es amerikanische Elitehochschulen praktizieren. Die Studiengebühren werden um die 21.000 Mark jährlich betragen. Aber die Studenten sollen nicht im Blick auf die Konten der Eltern ausgesucht werden. Das würde die Hochschule schwächen. Studenten seien ein Kapitalstock der Hochschule, und der wird mit Stipendien subventioniert.

In Dortmund treibt Ministerpräsident Clement das Projekt C.A.M.P.U.S. voran, ebenfalls eine Privatuni. Die beiden Gründer kommen von links: Daniel Goeudevert, der Dissident unter Deutschlands Managern, und der die kritische Theorie hochhaltende Pädagogikprofessor Andreas Gruschka. C.A.M.P.U.S. wird auf einer sogenannten Konversionsfläche, also in ehemaligen Kasernen, arbeiten und will die Pflugscharen des 21. Jahrhunderts erfinden. Studierende und Lehrende werden gemeinsam forschen, arbeiten und auch in Colleges zusammen leben. Auf dem Gelände werden mittelständische Betriebe angesiedelt, in denen Studierende mitarbeiten, damit Theorie und Praxis zusammenkommen.

Die Entwürfe, sogenannte Machbarkeitsstudien (erschienen im Verlag Büchse der Pandora, Gießen) lassen ein Vorhaben erkennen, an dem gemessen die staatlichen Unis gestaltlose Riesenbabys sind. C.A.M.P.U.S. ist ein Projekt diesseits der Jahrhunderte zählenden Tradition, in der die Theorie der Welt immer überlegen war. Die Hierarchie, was ja heilige Ordnung heißt, wurde ursprünglich theologisch konstruiert. In hervorragender Position nistete sich dann die Kritik ein: als Aufklärung, als überlegene Vernunft und als antizipierende Revolutionstheorie. Spätestens 1989 ist auch das Schisma von guter Theorie und schlechter Praxis zusammengebrochen. Nun kann das Verhältnis von Theorie und Praxis, von Forschung und Arbeit, von Beruf und Fortbildung etc. nur noch dialogisch gedacht und im Wechselspiel organisiert werden. In der Begründung für das Dortmunder Projekt heißt es, „daß auf dem C.A.M.P.U.S. viele Unternehmen tätig sind und in diesen die Lernenden arbeiten, um das Arbeiten zu lernen. Auch Fortbildung wird nicht abgehoben vom Arbeitsprozeß stattfinden, und ebenso wird die Forschung als eine Art von Arbeit begriffen.“

Der internationale Ableger der TU Hamburg-Harburg, das Northern Institut of Technologie (NIT), das ganz ohne staatliches Geld auskommen will, setzt darauf, daß eine gute postgraduale Ausbildung den großen Firmen 40.000 Mark im Jahr wert sein wird. Die internationalen Privatunis versprechen, Persönlichkeiten zu bilden. Wer denkt, aha, Kaderschmieden für das Kapital, Fachidioten für die Wirtschaft, sollte einen Moment innehalten. Denn Fachidioten sucht das Kapital für seine Eliten nicht. „Wir brauchen kein Spezialistentum, sondern ,global thinking‘“, damit geht Hauke Trinks, Präsident der TU Harburg, für seinen privaten Ableger auf Akquise. Mit Erfolg. „Viele der Probleme, die wir heute in der Gesellschaft haben“, meint der Gründer des privaten und englischsprachigen NIT, „sind nicht mehr technologischer Natur. Wir können Probleme der Zukunft nicht durch mehr Technologie lösen. Geisteswissenschaften müssen mit den Ingenieurwissenschaften eine gemeinsame Plattform finden.“

Die neuen privaten Universitäten verstehen sich als Kulturprojekte, ja als internationale multikulturelle Projekte, so international wie das große Kapital. Und sie verstehen sich natürlich als Wirtschafts- und Politikprojekte, denn es ist klar, wenn nur noch wenige ausländische Studenten nach Deutschland kommen, dann entstehen hier auch nicht mehr die persönlichen Kontakte, die sich später politisch und wirtschaftlich auszahlen.

Vielleicht, wer weiß, bewegen sich unter dem Eindruck der Neugründungen auch unsere großen Hochschulen, die man inzwischen höhnisch Flachschulen nennt. Sie sind unterfinanziert, ohne Frage, aber sie sind auch unterstimuliert. Man könnte mehr draus machen als ein ermüdendes Zwischenlager für eine Generation, und mittendrin einige wenige Forschungsspitzen, die in der öffentlichen Uni übrigens viel privater und eigennütziger gehandhabt werden als in einer privaten amerikanischen Hochschule, die sich mehr als Community versteht als der deutsche akademische Staatsapparat.

Die andere Möglichkeit liegt auf der Hand. Auch an den Unis könnte bald ein Heer der Nutzlosen einer kleinen Elite gegenüberstehen, die es geschafft hat, sich selbst zu organisieren und auf dem Weltmarkt der Qualifikationen zu behaupten. Aber, so lehrt uns „global thinking“, das ist kein Naturgesetz. Reinhard Kahl