Die späte Rache eines Generals

■ Ein Algerier wurde in seiner Heimat des Terrorismus für schuldig befunden, obwohl er zur Tatzeit längst außer Landes war

Madrid (taz) – Würde Kafka noch leben, der Fall des Algeriers Ali Bensaad böte ihm Stoff für mehrere Romane. Der algerische Dozent für Geographie und Klimatologie wurde am 7. Juli vom Gericht in Constantine zum Tode verurteilt. Er soll in der Nacht vom 28. zum 29. August 1996 an einem Massaker in Chafba Er Rsas 250 Kilometer westlich von Algier beteiligt gewesen sein. Fünf Menschen seien dabei ums Leben gekommen. „Ein unglaublicher Vorwurf. Denn zum fraglichen Zeitpunkt war ich in Deutschland“, beteuert Ali Bensaad, der tatsächlich seit März 1996 in Hamburg lebt, mittlerweile als anerkannter politischer Flüchtling.

Der ehemalige Unidozent und freie Journalist ist gleich doppelt auf der Flucht: vor bewaffneten Islamisten und dem militärischen Sicherheitsdienst. Beide führen Bensaad seit dem Präsidentschaftswahlkampf im Herbst 1995 auf ihrer schwarzen Liste. Damals trat der Demokrat zusammen mit dem Kandidaten Redha Malek, ehemaliger Regierungschef und aus der Einheitspartei FLN ausgestiegener Reformpolitiker, auf. „Ich bin nicht nur gegen ein System, wie es Ali Benhadj und Abassi Madani anstreben, sondern auch gegen das korrupte Regime eines Betchine“, sprach er auf einer Wahlkampfveranstaltung am 21. September 1995 in Constantine aus, was viele algerische Demokraten denken. Bei der Islamischen Heilsfront (FIS) von Madani und Benhadj machte sich Bensaad damit ebensowenig Freunde wie beim Geheimdienst von General Mohamed Betchine.

„Am Tag darauf, um Mitternacht, umstellte die Armee mein Haus und durchsuchte es“, erinnert sich Bensaad. Ihn trafen die Soldaten allerdings nicht an. Er war zu einem Vortrag in Tunis. „Als ich von der Durchsuchung erfuhr, beschloß ich, nicht in meine Heimat zurückzukehren.“

Kurz darauf wurde Bensaad aus der Universität von Constantine geschmissen. Sein zweites Berufsverbot, nachdem er bereits 1979 als Journalist wegen seiner Reportagen gegen die Korruption Schreibverbot erhalten hatte.

Vier weitere Male wurde Bensaads Wohnung von Militärs auf den Kopf gestellt, das Telefon der Eltern angezapft. Im November wurde ein Verfahren wegen „Beleidigung eines hohen Offiziers“ eröffnet. Im März 1996 wurde Bensaad zu sechs Monaten Haft verurteilt. Reporter ohne Grenzen und die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ermöglichten dem Bedrängten eine Reise von Tunis nach Deutschland.

Bensaad sieht im Todesurteil die späte Rache des mächtigen Generals: „Der Einfluß von Betchine in Constantine flößt Schrecken ein. Die Bedingungen, unter denen er seine Kontrolle über die einträglichen ökonomischen Aktivitäten der Stadt, der Medien und selbst der Fußballmannschaft ausübt, unterliegen einem Gesetz des Schweigens. Dagegen habe ich verstoßen, und dafür soll ich jetzt bezahlen.“ Reiner Wandler