Macht und Ohnmacht

Schwulendrama als Herrschaftsstudie: Zhang Yuans „East Palace, West Palace“  ■ Von Christian Buß

A-Lan ist schwul. Und subversiv, da muß er sich gar nicht anstrengen. Er sagt: „Ich kann ein Mann sein. Ich kann eine Frau sein. Ich kann alles sein.“ Der Polizist Shi, der ihn auf der Klappe im Park festgenommen hat, kommt da nicht mit: „Du hast ein Problem. Ich werde dich heilen.“ Schläge scheinen ein adäquates Mittel. So soll die Imagination ausgetrieben werden, denn die kann eine recht gefährliche Angelegenheit sein. Schon weil sie die Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit zum Ausbruch bringen kann. Und wer in der einen Wirklichkeit regiert, will von der anderen Wirklichkeit natürlich nichts wissen.

East Palace, West Palace ist ein Schwulendrama. Und noch viel mehr: eine Analogie über Herrschaft und Unterdrückung. Daß der Chinese Zhang Yuan sein Werk nicht selbst auf den Filmfestspielen in Cannes vorstellen konnte, da ihm die Behörden die Ausreise verweigerten, ist da nur einer von vielen Verweisen auf die politische Dimension dieser Arbeit. Der 35jährige gehört zur sogenannten Sechsten Generation, einem lockeren Zusammenschluß junger chinesischer Regisseure, die außerhalb der staatlich kontrollierten Studios arbeiten. Und unabhängige Filmemacher haben in seiner Heimat ungefähr den gleichen Status wie Homosexuelle: Sie sind offiziell gar nicht existent.

Eben wie A-Lan, der schwule Schriftsteller in East Palace, West Palace, der sich in seinen Peiniger Shi verliebt. Der seine gesamte Geschichte vor dem Polizisten ausbreitet. Wie man zum Beispiel versucht hat, ihn sexuell umzupolen. Wie man ihm Homopornos zeigte und mit faulem Essen fütterte, wie man ihm Heteropornos zeigte und seine Lieblingsspeisen auffuhr. Wie er zum ersten Mal von einem Mann verführt wurde – und danach von Bauarbeitern vertrimmt. „Aber“, sagt A-Lan, „diese Art von Erlebnissen machen das Leben lebenswert.“

East Palace, West Palace – so lauten die Codeworte, mit der sich Pekings Homosexuelle zu erkennen geben – ist ein kräftezehrendes Kammerspiel. Si Han und Hu Jun verkörpern eindrucksvoll die beiden Antagonisten. Die Macht und die Ohnmacht. Die können während des Verhörs ganz schnell von der einen Figur zu der anderen wechseln. Denn wer hier über wen herrscht, das läßt sich gar nicht so eindeutig sagen. Der Bulle ist verschlossen, verbohrt, brutal – und doch seltsam angerührt von seinem Gefangenen. Der entblößt, entäußert sich gar – und gewinnt so Macht über den vermeintlichen Machthaber. Ein vertracktes Spiel ist das, und es erinnert nicht selten an die Abgründe in den Arbeiten von Jean Genet, bei dem sich die rituelle Unterwerfung schon mal ins Gegenteil verkehren kann. Folgerichtig, daß die klaustrophobische Dichte dieses Psychokriegs über Strecken an Rainer Werner Fassbinder erinnert, der mit Querelle einst Genets Schwulen-Prosa kongruent auf die Leinwand brachte.

„Jetzt habe ich dir alle Fragen beantwortet“, sagt A-Lan am Ende zu Shi. „Jetzt bist du dran.“ Aber der Herrscher schweigt.

Do, 6. bis Mi, 13. August, 19 Uhr, Abaton