Warnung vor dem Volke

Anhörung zur Volksgesetzgebung: Experten fürchten, daß „Mehr Demokratie“ tatsächlich zu weniger Demokratie führt  ■ Von Silke Mertins

Im Streit um die Volksgesetzgebung haben gestern die beiden großen Parteien Punkte gemacht. Die Mehrheit der Experten, die zu einer Anhörung in den Verfassungsausschuß der Bürgerschaft geladen worden waren, sprach sich gegen die Initiative „Mehr Demokratie“ aus.

Das Modell, das die Hürden der jetzt gültigen Regelung herabsetzen will und am 27. September zur Abstimmung steht, sei „handwerklich und inhaltlich unstimmig“, rügte Ex-Senator Wolfgang Hoffmann-Riem. Der parteilose Uni-Professor saß seinerzeit in der Enquete-Kommission, auf deren Empfehlung die Volksgesetzgebung eingeführt worden war.

Viele Aspekte des Entwurfes der Bürgerbewegung seien außerdem „verfassungsrechtlich sehr bedenklich“. In seiner gewohnt eloquenten Art wunderte Hoffmann-Riem sich auch über den seiner Meinung nach irreführenden Namen der Initiative. Würde „Mehr Demokratie“ niedrigere Hürden durchsetzen, „führt dies in Teilen zu weniger Demokratie“, warnte der Verfassungsrechtler. „Ich würde mich außerdem dagegen verwahren, daß die Norm der direkten Demokratie als höherwertiger gilt als die parlamentarische.“

Kompromisse für hochkomplizierte Themen zu finden, die vielen verschiedenen Interessen dabei abzuwägen und Minderheiten zu schützen, sei am besten durch das bestehende System gewährleistet. Volksabstimmungen seien immer nur als Korrektiv sinnvoll, denn die Probleme müßten auf Ja-Nein-Fragen reduziert werden.

„Mehrheiten neigen dazu, zu Lasten von Minderheiten zu entscheiden“, warnte Hoffmann-Riem zudem davor, Volksabstimmungen für den demokratischen Himmel auf Erden zu halten. Es sei leichter, ein Nein als ein konstruktives Ja zu organisieren. Finanzkräftige artikulationsfähige Interessen seien im Vorteil. Für geradezu fahrlässig hält der Ex-Senator die Forderung der Ini, Verwaltungshandeln einzufrieren, sobald Unterschriften von einem Prozent der Bevölkerung in den Bezirken vorliegen. In Bergedorf wären das beispielsweise 800 Stimmen. „Die zusammenzubekommen, würde ich sogar mir persönlich für fast jedes Thema zutrauen.“

Hoffmann-Riem wie auch vier der fünf anderen Experten sprachen sich für die Beibehaltung der Mindestzustimmung aus: „Man braucht eine gewisse Garantie, daß die Entscheidung mit der hinreichenden Breite getragen wird.“ Peter Krause von der Uni Trier glaubt darüber hinaus, daß „Bürger nicht dauernd mit Volksabstimmungen belästigt werden wollen“. Hans-Günter Hennike vom Deutschen Landkreistag stellte heraus, daß „positive Entscheidungen, die von der unorganisierten Bevölkerung ausgehen, kaum zum finden sind“. Meistens seien Volksabstimmungen die Fortsetzung der Parteien-Politik mit anderen Mitteln.

Einzig Michael Efler von „Mehr Demokratie“, der von der GAL geladen war, sprach sich für geringere Hürden aus. Die jetzige Regelung produziere Politikverdrossenheit: „Die Leute, die sich für eine Voksabstimmung engagieren und an den Hürden scheitern, gehen für die Demokratie verloren“.

Wie die Regierungsparteien SPD und GAL, die sich in dieser Frage hoffnungslos uneins sind, ihren Konflikt lösen wollen, ist weiterhin unklar. Am Freitag findet zwar eine gemeinsame Veranstaltung statt, doch wann die Kuh vom Eis geholt werden soll, haben die Koalitionäre bisher nicht terminiert.