Wetteifern um zahlungskräftige Kaufhauskunden

Kaufhausmanager haben die Kundschaft mit schmalem Geldbeutel längst abgeschrieben. Aufwendige Umbauten sollen ein zahlungskräftiges Publikum anlocken, doch die alte Idee des Warenhauses bleibt im Labyrinth der Kleinstboutiquen auf der Strecke  ■ Von Ralph Bollmann

Besonders schlau scheint die Geschäftspolitik des Hauses nicht zu sein. „Herrensocken, 3 Paar ab 12 Mark“, annonciert ein Schild über dem Wühltisch gleich beim Eingang. Doch die versprochene Gelegenheit, zwölf Mark oder mehr loszuwerden, gibt es gar nicht. Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß die Dreierpacks der schäbigen Billigware schon für fünf bis sieben Mark zu haben sind.

In der Hertie-Filiale am Halleschen Tor ist derzeit „Schlußverkauf“. Wie überall. Doch hier bekommt das Wort einen perfiden Hintersinn. Schließlich will der Karstadt-Konzern, Hertie-Eigner seit vier Jahren, im nächsten Jahr „den Standort aufgeben“.

Dabei haben sich die Manager noch im vorigen Jahr an einer behutsamen Modernisierung versucht und ein wenig Holz und Pastellfarben an die Wände gebracht. Kleiderständer und Regale stehen aber noch immer in Reih und Glied, als gehorchten sie einem militärischen Kommando. Auf zwei der fünf Etagen erinnert ein abgewetzter Parkettfußboden an bessere Zeiten. Auch das in Quantität und Qualität sparsame Sortiment trägt seinen Teil dazu bei, daß sich der Kunde an die „Kaufring“-Häuser in süddeutschen Provinzstädten erinnert fühlt.

Immerhin haben die Modernisierer das Warenangebot, dem Branchentrend folgend, in „Themenbereiche“ aufgeteilt. Im Erdgeschoß müssen sich Socken, Juwelen und Handtaschen unter den Begriff „Personality“ zwingen lassen. Im zweiten Stock tragen Sportbekleidung und Computerzubehör ihr Scherflein zum „Lifestyle“ bei, und im dritten Stock vereinigen sich Kochtöpfe und Bügelbretter zum „Living“.

Die Begriffskosmetik ändert allerdings nichts daran, daß ein solches Ambiente heutzutage niemanden mehr in ein Kaufhaus lockt. Das Bedürfnis nach Schnäppchen bedienen diverse Reste-Rampen besser. Kunden mit allzu schmalem Geldbeutel haben die Kaufhaus-Manager auch gar nicht im Visier: Die sorgen bestenfalls für Umsatz, aber nicht für Gewinn. Schließlich haben die Konsumtempel, trotz des rapiden Personalabbaus der letzten Jahre, mit höheren Kosten zu kämpfen als die Discounter.

Im vergangenen Jahr brachten allein die Reisebüros den Karstadt-Konzern in die Gewinnzone. Kein Wunder also, daß Vorstandschef Walter Deuss eine „Neupositionierung am Markt“ ankündigte. Mit teuren Markenartikeln will er künftig wohlhabende Kunden ansprechen. Im Vergleich zu den Hertie-Häusern, die der Konzern landauf, landab gleich reihenweise schließt, eignet sich das Karstadt- Label weit besser für das neue Konzept.

Selbst im Wedding ist eine Oase moderat gehobener Konsumkultur entstanden. In der Lebensmittelabteilung bei Karstadt am Leopoldplatz treffen samstags kurz vor 16 Uhr all jene zusammen, die nicht schon morgens um neun bei Penny nach Schnaps anstehen. Das erstaunlichste daran ist, daß sich das Grundsortiment in nichts vom Kreuzberger Hertie unterscheidet – dieselben Marken in der Elektroabteilung, dieselben Erzeuger im Weinregal. Bei Karstadt freilich ist das Spektrum größer: Wo Hertie nur den einfachen Tischwein offeriert, steht bei Karstadt noch die Spätlese im Regal – ein Anblick, der auch solche Kunden anlockt, die letztlich nur die Billigflasche nach Hause tragen.

Auf die Edelwelle ist auch der Kaufhof-Konzern aufgesprungen, nach den Fusionen der letzten Jahre Karstadts einzige Konkurrenz. Die beiden Konzerne haben sich die Stadt entlang der Sektorengrenze aufgeteilt: Den Westen hat Karstadt-Hertie fest im Griff, im Osten hat Kaufhof nach der Wende fünf Warenhäuser übernommen. Gerade dort sind die Kunden „anspruchsvoller geworden“, weiß Günter Biere, Geschäftsführer am Alexanderplatz. Sein Haus läßt er derzeit für 45 Millionen Mark umbauen, um „höherwertige Produkte entsprechend positionieren“ zu können. Vom Flair der ersten Nachwendejahre, als der Kaufhof am Alex noch den Charme des alten Centrum-Warenhauses verbreitete, ist wenig geblieben. Allein an der beklemmenden Präsenz des Sicherheitspersonals hat sich wenig geändert. Wer sich bloß ein paar Meter vom Wühltisch entfernt, ohne zielstrebig die Kasse anzusteuern, dem klopft der Kaufhausdetektiv freundlich auf die Schulter.

Im Trend der Zeit liegt es freilich auch, daß dem Umbau die ursprüngliche Idee des Kaufhauses zum Opfer fällt. Im Warenhaus neuen Typs findet der Kunde mitnichten einen bestimmten Artikel in einer bestimmten Abteilung. Statt dessen zerfällt der frühere Konsumkosmos in eine Vielzahl von Kleinstboutiquen, die Produkte einer bestimmten Marke anbieten. Das Kaufhaus wird tatsächlich wieder zu jenem „orientalischen Basar“, als den es seine mittelständischen Kritiker, stets mit antisemitischem Unterton, in der Weimarer Republik geißelten.

Den Gipfel dieser neuen Unübersichtlichkeit hat zweifellos das KaDeWe erklommen. Nach dem jüngsten, 440 Millionen Mark teuren Umbau präsentiert sich die auf 60.000 Quadratmeter angewachsene Verkaufsfläche zerklüfteter denn je. Mit einer „Etagen-Information“ auf jedem Stockwerk und Landkarten der „Haupteinkaufswege“ versucht das größte Warenhaus des Kontinents, Wege durch das Labyrinth aus Lichthöfen und Rolltreppen zu weisen.

Solche Abenteuer aber sind es, die die Kundschaft offenbar Tag für Tag ins Haus am Tauentzien locken. Dem KaDeWe ist es gelungen, sich weniger als Kaufhaus denn als Sehenswürdigkeit zu inszenieren. Schon die Etagen- Grundrisse zum Mitnehmen gemahnen an Museumsführer, und die Fischabteilung im sechsten Stock erinnert an das Aquarium im nahen Zoo. Vor den Vitrinen voll lebender Aale, Karpfen und Forellen scharen sich die Kinder, und in totem Zustand sind Arten zu besichtigen, von deren Existenz selbst der erfahrene Hobbykoch nichts wußte. Derart exotische Blau- oder Grüntöne trägt manch ein Tier zur Schau, daß man an seiner Eßbarkeit zweifeln möchte.

Weil aber die Schicht der Zahlungskräftigen in Berlin kleiner ist als anderswo, versucht sich das KaDeWe als „gewöhnliches“ Kaufhaus zu präsentieren. Nach dem Umbau vor zwei Jahren lockte es die Kundschaft gar mit einem Plakat, das schnöde Kartoffeln zeigte. Doch zumindest die Lebensmittelabteilung ist dem gewöhnlichen Preiswettbewerb entrückt. Daß manche Käsesorte zweieinhalbmal mehr kostet als im Kreuzberger Hertie, stört die Wilmersdorfer Witwe wenig, die ihren Käseeinkauf mit der American-Express- Karte bezahlt.

Fast ist es wie in mancher Szenekneipe, deren Popularität mit den Preisen und der Arroganz des Personals wächst. Besonders dreist gerät im KaDeWe die Preisgestaltung in der Weinabteilung, wo der Kenner die große Auswahl teuer bezahlt. Für die Flasche 1983er ChÛteau Pétrus, die er bei Lafayette schon für 1.008 Mark erstehen kann, muß er hier 1.800 Mark hinblättern. Entschädigt wird er durch den Anblick önologischer Raritäten wie eines 1924er ChÛteau Haut-Brion oder eines 1926er ChÛteau Ausone. Sie liegen vorsichtshalber ohne Preisschild in der Auslage.

Da haben sich die Galeries Lafayette in der Friedrichstraße einen höheren Gebrauchswert bewahrt. Von einem „Kaufhaus“ zu sprechen, wäre hier freilich übertrieben. Eigentlich handelt es sich um eine Kuppel, an die sich vier schmale Streifen mit ein paar Kleidungsstücken anschmiegen. Zum Leidwesen der ständig wechselnden Geschäftsführer drückt sich das Publikum an dem von Jean Nouvel entworfenen Glastrichter die Nasen platt, statt sich für die Hemden aus dem Schlußverkauf zu interessieren, zum Schnäppchenpreis von 159 statt 219 Mark.

Ambiente allein genügt eben nicht, auch Preis und Leistung müssen stimmen. In klingende Münze setzt sich der Besucherzustrom deshalb nur in der Lebensmittelabteilung um. Befindet sie sich beim KaDeWe in schwindelerregender Höhe, ist sie bei Lafayette im Keller untergebracht. Ähnlich verhält es sich mit den Preisen: Günstiger gibt es französische Delikatessen in Berlin nirgendwo. Gewiß, einen Aufschlag auf die Originalpreise in Frankreich genehmigen sich auch die Lafayette-Manager. Doch für zehn Mark kann man sich schon einmal ein paar Entenkröpfchen für die Vorspeise leisten, und für den gleichen Betrag gibt es bereits 100 Gramm Stopfleber vom gleichen Tier. Da kann nur noch das Erbarmen mit der geschundenen Kreatur vom Kauf zurückhalten.

Berliner wie Touristen werden hier gleichermaßen schwach. Einzig eine sparsame Schwäbin mag es nicht akzeptieren, daß ihr Mann für fünf Mark die Anschaffung einer Feigenmarmelade plant. Der aber läßt sich nicht bremsen. „I fang' grad erscht an“, bescheidet er seine entsetzte Frau – und holt sich, ungeachtet ihres bösen Blicks, einen Einkaufskorb.