Und immer wieder angucken

„Ist das der Weg zur Diskursdisko?“ lotte ohm. und Kirmes sind noch echte westdeutsche Spinner, deren Musik wie ein Hippiesommer im Bauch der Mutter klingt  ■ Von Thomas Winkler

Die Musik von lotte ohm. (mit Punkt), wie sie sich bis zu dieser, der neuen Platte darstellt, war vor allem und in erster Linie und nahezu ausschließlich Lottemusik. Soll heißen: Vincent Wilkie, jener Egomane mit einem halben Dutzend sich widersprechender Biographien, aber mit immerhin einem verbürgten und dann doch irgendwie prägenden Liedermachervater, tat, was er tat, und das war ziemlich einmalig. Vorsichtig tastende Loops, erlesen erlesene Samples und larmoyant dahergenuschelte Raps voller Selbstreflexion. War trotzdem lustig. Lustig, nicht studentenlustig, nicht insiderscherzlustig, sondern echt lustig.

Das war so gut, das merkten sogar die großen Plattenfirmen. Eine davon hat sich Wilkie ausgesucht, weil man dort so unvorsichtig war, ihm alle Freiheiten zuzusichern. Dafür durfte sie seine extrem coole Single „Wenn sie wirklich will“ veröffentlichen. Vielleicht habt ihr sie im Radio gehört. Wohl eher nicht. Denn sie war cool, wirklich.

Die neueste Inkarnation von Lottemusik heißt nun „Das Ohmsche Gesetz“. Es ist Wilkies erste lange Tat für eben jene große Plattenfirma. Wenn man will, kann man diese Tatsache hören. Einmal daran, daß „Wenn sie wirklich will“ überflüssigerweise noch einmal auftaucht. Zum anderen, daß das Westdeutschekleinstadtspinnertum ziemlich zurückgefahren ist und sich fast nur noch in so unmöglich langen Songtiteln äußert, die man hier nicht zitieren kann, weil einem sonst der Redakteur für Zeilenüberschreitung aufs Dach steigen würde. Manch anderer Song hat sich zudem ein möglicherweise gar nicht so gesundes Maß an Soulseligkeit einverleibt. Auch die Monotonie der frühen Tage, die auch noch die allerletzten unliebsamen Mithörer rauskickte und das Kultpotential sicherte, hat schwer gelitten.

Aber vielleicht hör' ich da auch nur das Gras wachsen. Was ja durchaus zum Thema passen würde. Und wenn, dann geht es mir ähnlich wie dem Künstler. Der singt nämlich: „Guten Morgen Industrie, ich ruf dich dann zurück, wenn ich's nicht besser weiß/ Guten Morgen Industrie, der Trick ist doch zu glauben, ich will Mißerfolg um jeden Preis.“ Das also sollte man sich nun wirklich ins Poesiealbum krickeln. Und immer wieder angucken.

Wer trotzdem immer noch zu der Minderheit gehört, die ganz nervöses Zucken bekommt, wenn von einem Major-Vertrag die Rede ist, und nun weint, weil lotte weg ist, für den hat Wilkie „Video“ von Kirmes produziert. Das ist ein Duo aus Münster, das aus denselben Bandresten wie Gautsch und Lee Buddah erstand. Hier spielt der Romanautor Hermes „fast alle Instrumente“, während ein „diplomierter Physiker“, der mit Kir Royal die Wanderananas für das blödeste Pseudonym der Saison übernimmt, Texte schreibt und singt.

Auch das ist Lottemusik. Sanftes, schon fast sommerliches Vor- sich-hin-Gedaddel, daß man sich wieder ans Fingerschnippen erinnert. Oder an den Hippiesommer, den man im Bauch der Mutter verbrachte. Alles voller kleiner Anspielungen und hirnrissiger Überflüssigkeiten. So lernen wir von Kirmes, daß man nicht nur eine ganze Strophe aus Romantiteln von Johannes Mario Simmel bauen, sondern das tatsächlich auch singen kann. Oder vielleicht doch eher: vor sich hinbrummeln. Es gibt auch lustige Texte über Mexiko, die gar nicht gesungen, sondern nur abgedruckt werden.

Es ist also Lottemusik, aber Lottemusik mit Popexplosion. Hits, Hits, Hits finden wir hier. So viele Hits gar, daß man sich nicht auf eine Single einigen konnte. Also gibt es keine. Der Refrain „Was wäre gewesen/ Wenn“ ist so unglaublich catchy, das mußmußmuß man einfach gehört haben. Es gibt Texte über Kunst, die witzig sind und die man auch noch mitgrölen kann. In echt. So geht das dann fröhlich weiter bis zu Colt Seavers, dem Stuntman aller Stuntmen.

Die Vergleiche, die lotte ohm. immer trafen, die mit der US-amerikanischen Lo-Fi-Tradition, diese Vergleiche sind alt, aber deswegen noch lange nicht falsch. Beck, Beck und nochmal Beck drängt sich auf, wenn man Wilkie und Kirmes hört. Wichtiger Unterschied immerhin: Diese Spinner kann man schon fast zu gut verstehen.

„Video“ endet mit der Frage: „Ist das der Weg zur Diskursdisko?“ Sie wird nicht endgültig beantwortet, aber Kirmes scheinen ihn gefunden zu haben. Das heißt: Man kann dazu tanzen. Zu dieser Musik sieht das aber nur cool aus, wenn man so richtig steif und ungelenk ist. Groove ist halt doch ein Menschenrecht.

lotte ohm.: „Das Ohmsche Gesetz“ (WEA)

Kirmes: „Video“ (DiskoGrönland/Indigo)