Swinging London in silbernen Handschellen

Lieber Velazquez als Andy Warhol: Die Kunsthalle Bremen zeigt Arbeiten des britischen Pop-art-Vaters Richard Hamilton, in dessen Druckgrafiken sich Werbestrategien und Kunstgeschichte genauso raffiniert überkreuzen wie Glamour und Voyeurismus  ■ Von Harald Fricke

Ist das Pop? Ein Bodybuilder steht wie ein griechischer Athlet in einem Fifties-Wohnzimmer, in der Hand hält er einen Tennisschläger, der sich knapp unterhalb des Bauchnabels quer stellt. Dem fleischigen Sportsmann sitzt eine Nackttänzerin auf der Rückenlehne eines Sofas gegenüber. Mit der einen Hand faßt sie sich an den Busen, mit der anderen spielt sie an ihrem Sommerhütchen herum. Der Rest des Zimmers ist mit Wirtschaftswunderwerten eingerichtet: Dosenfleisch, Staubsauger, Tonbandgerät. Richard Hamilton hat diese Collage 1956 für die Ausstellung „This is Tomorrow“ produziert und in einem kurzen Begleittext ein Pamphlet für eine neue Massenkultur niedergeschrieben. Kunst sollte über den Alltag informieren, schnell konsumierbar sein und nicht länger einen Anspruch auf Ewigkeit erheben. Seither wird der 1922 geborene Brite gerne als Vater der Pop-art genannt.

Daß Hamilton in Bremen jetzt der Preis der Bank „Nord/LB“ überreicht wurde, weil er in seiner Arbeit „kunstgeschichtliche Tradition und Kenntnisse“ vermittelt, muß irritieren. Natürlich hat man sich an eine retrospektive und museale Aufwertung von Warhol, Rauschenberg und Co. gewöhnt; und natürlich hat auch Hamilton mit seinem Ruf nach mehr Nähe des Künstlers zur Basis recht behalten.

Ohne die Alltagsikonographie der sechziger Jahre gäbe es vermutlich gar keine vermittelnde Sprache zwischen high und low, an der sich cultural studies orientieren könnten. Pop ist die Lebensform, die auf die industriellen, technischen und vor allem medialen Veränderungen des 20. Jahrhunderts reagiert. Trotzdem wirkt dieser Rahmen etwas befremdlich, wenn man sich Hamiltons Ausstellung in der Bremer Kunsthalle anschaut.

Statt schillernder Bilder aus der Warenwelt begegnen einem akkurate, zumeist spärlich in Werkgruppen über acht Räume verteilte Druckgrafiken. Ein Saal zeigt Illustrationen zum „Ulysses“ von James Joyce, mit denen sich der Maler und Objektkünstler seit den späten vierziger Jahren beschäftigt; in einem anderen Raum sind bald drei Dutzend ungeheuer feine Variationen einer Vase mit Blumen als Beispiele für Monochromie und Mischverhältnisse versammelt; am Ende gibt es komplex arrangierte Collagen mit „Interiors“ aus Hotelhallen und Selbstporträts in Anlehnung an Gemälde von Francis Bacon. Alles ist luftig arrangiert, die Titel sind dezent am Rand angebracht, damit man sich auf die Motive konzentrieren kann. Doch die Präsentation verdeutlicht auch, warum Hamilton in einem Museum ausstellt, das eine der berühmtesten Grafiksammlungen Europas beherbergt.

Hamilton selbst sieht sich heute als Nachfolger von Velazquez oder Manet und weniger als britischer Gegenpol der New Yorker Kunstszene. War sein Pop-Appeal womöglich nur ein Mißverständnis, ein strategischer Knotenpunkt auf dem Weg zum ruhmreichen Malerfürsten? Immerhin wurde der mit 25.000 Mark dotierte Nord/LB-Preis zuvor Baselitz, Kirkeby oder Polke verliehen. Damit befindet sich Hamilton zwar in guter, aber doch ein wenig anderer Gesellschaft, als man es von einem Künstler annehmen würde, der IRA-Gefangene porträtiert und für die Beatles das Cover zum „Weißen Album“ entworfen hat.

Tatsächlich muß man für Hamiltons Bruch mit der vielzitierten Pop-art, an die er sich mittlerweile in einer Mischung „aus Verehrung und Zynismus“ erinnert, in die sechziger Jahre zurückgehen. Auch darüber geben die Arbeiten in Bremen Auskunft. In einem Kabinett findet sich die Serie „Swingeing London“, mit der sich Hamilton zwischen 1967 und 1972 beschäftigt hat. Anlaß für die diversen Zeichnungen, Poster, Radierungen und Drucke war die Verhaftung von Mick Jagger und dem damaligen Hamilton-Galeristen Robert Fraser. Bei einer Razzia im Landhaus des Stones-Gitarristen Keith Richards hatte die Polizei beide mit Hasch und Aufputschtabletten erwischt. Vier Monate später wurden sie in einem medienwirksamen Prozeß zu übermäßig hohen Haftstrafen verurteilt (nach einer Zeitungskampagne in der Times wurde Jagger auf Bewährung freigelassen, Fraser mußte für vier Monate ins Gefängnis).

Hamiltons Interesse an dem Fall lag nur zum Teil an seinem Galeristen. Viel mehr bestand die Arbeit darin, die Rolle der Medien zu überprüfen. So waren der Polizei schon im Vorfeld von der Boulevardzeitung News of the world Informationen über die Drogenparty zugetragen worden – schließlich waren „Sex & Drugs & Rock'n'Roll“ das Image, das die Rolling Stones vor allem in den Klatschspalten berühmt gemacht hatte.

Dieses zwiespältige Popverständnis wird von Hamilton um zahlreiche Details ergänzt. In einer ersten Collage kombiniert er die News zum Skandal mit begeisterten Zeitungstexten über das Phänomen des „Swinging London“. Während auf der einen Seite die wiedergewonnene Jugendlichkeit der Metropole zum wirtschaftlichen Exportfaktor erhoben wurde, reagierte der Staat auf Drogenkonsum weiterhin mit Strafen. Der Richter im Jagger-Prozeß hatte von einem Präzedenzfall gesprochen, bei dem das Urteil „swingeing“ – extrem hart – ausfallen sollte. Insofern ist das Wortspiel im Titel der Arbeit von Hamilton eine überaus klarsichtige Bestandsaufnahme repressiver Toleranz.

Trotz der traditionellen grafischen Mittel blieb Hamilton auf der Höhe des Pop: Für eine zweite Bearbeitung nahm er das Foto der Verhaftung und beschnitt die Aufnahme, bis Jagger und Fraser freigestellt auf dem Siebdruck erschienen – beide durch silberglänzende Handschellen verbunden. Von dem Paparazzi-Bild blieb nur eine theatralische Geste innerhalb der medialen Inszenierung übrig. Auch mit diesem zwischen Glamour und Voyeurismus changierenden Image sollte Hamilton recht behalten: Jaggers Freispruch wenig später wurde als Sieg der liberalen Presse gefeiert; und sein erster Fernsehauftritt nach dem Prozeß gilt als beinahe mythischer Ursprung der „Bad Boys“-Attitüde der Stones.

Für Hamilton war der durch den Skandal beförderte Erfolg ein Grund, sich vom Cross-Over mit der Popmusik zu verabschieden. Daß er dennoch nicht völlig aus der Kulturindustrie ausgestiegen ist, bezeugt eine eher unauffällige Serie mit „Landscapes“ in Pink und Blau. Dabei verbinden sich in den weich gezeichneten Waldlandschaften eher abwegige Motive: Weißgewandete, lächelnde Frauen sitzen im zarten Moos und werben für Toilettenpapier. Während in der Reklame das Anliegen diskret aus dem Zentrum der fotografischen Vorlage gerückt war, stellt Hamilton die Szene komplett in den Dienst der scheinbar obszönen Handlung – über die gesamte Bildfläche wurden zusätzliche braune Schlieren gezogen. Vollkommen ironisch fallen hier romantische Naturvorstellung und Zivilisationsprozeß in eins; mehr noch: Die Idylle wird ganz unmetaphorisch zum stillen Ort. Daß Hamilton bei seinen Vorstudien auf Hans Baldung Griens „Hockende, defäkierende Frau“ aus dem frühen 16. Jahrhundert gestoßen war, bezeugt zudem die kunsthistorische Angemessenheit des Sujets.

Andererseits bestätigt sich im Rückbezug auf alte Meister der immer wieder formulierte Anspruch Hamiltons, ganz und gar Maler zu sein. Zwar arbeitet er mit Zitaten, doch das Ergebnis ist eine Übertragung der unentwegten Bildproduktion der Massenmedien auf das klassische, vor allem reduzierte Medium der Druckgrafik. Hamilton läßt die Images fließen, aber er stellt ihren Ursprung still. Nirgends bleiben Fernsehen oder Zeitung als Quelle noch erkennbar, eher schon transformiert er sie in kunstgeschichtliche Kontexte. Anders als Warhol schafft Hamilton damit keine modernen Ikonen, sondern einen sanften Widerschein, den die Malerei etwa eines Mantegna oder Vermeer in der Werbegrafik erfährt.

Daß er sich in den letzten Jahren zunehmend mit computergenerierten Bildern beschäftigt hat, gehört zu dieser Art Fortschritt durch Technik und Handwerk: In seiner Bremer Dankrede sprach Hamilton viel von der wunderlichen Kombination aus Standfestigkeit und Verfall gepixelter Bilder. Für das „Interior“-Bild auf dem Cover für den Katalog wurde derselbe Datensatz benutzt wie für den ausgestellten Druck. Irgendwann wird der Code auf Diskette jedoch unlesbar sein, damit ist aber auch das am Computer errechnete Original verschwunden, so Hamilton. Wo früher bloß die Drucksiebe ordentlich ausgewaschen werden mußten, braucht man heute Programmierer. Hamilton hat sich auf diesen Wandel eingelassen. Sein Projekt für die documenta X war eine Zusammenarbeit mit dem Informationstheoretiker Ekke Bonk.

Richard Hamilton: „Subject to an impression“, bis 18.10., Kunsthalle Bremen.