■ Schlagloch
: Sport sells Von Friedrich Küppersbusch

„Tour kaputt“ Gleichlautende „Bild“- und „Express“-Titelschlagzeile vom 30. 7. 1998

Stimmt schon: Die ARD hat einen Platten. Der heißt Jürgen Emig und verübte im Spiegel die intellektuell wirklich nicht sonderlich gebirgige Gegenfrage: „Soll ich etwa Jan Ullrich fragen, ob er gedopt ist?“ Ja natürlich, und fertig. Ausgerechnet im Spiegel, auf dessen Fernsehseiten notorisch die mindesten Hygienevorschriften grob verletzt werden: Noch ist es Menschen nicht gelungen, dort Kritisches über Hervorbringungen von „SpiegelTV“ zu lesen. Und erst nach Jahren ging man dort dazu über, die wöchentlichen Lobpreisungen der hauseigenen TV-Beiträge grau zu unterlegen, um sie von den Verrissen der Arbeiten anderer Häuser abzugrenzen. Ähnlich hatte der Stern zur Fußball-WM eine eigene Kommentatoren-Hinrichtungsstätte ins Heft gebaut. Sobald sich dort jemand traut, eine Folge über Günther Jauch zu schreiben, lese ich das vielleicht mal.

Also bekannte sich Tour-Reporter Emig zu nichts anderem als den einfachsten Regeln des Kaufmannsberufes: Man quatscht die Ware nicht kaputt, die man ins Regal legt. Ein ganz und gar undankbarer Job für einen gestandenen Journalisten; aber eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Geschäftspartnern, hier also gegenüber der Deutschen Telekom und dem Tour-Management.

„Whatever the product: sex sells!“ sagt der Amerikaner. Was kein Wunder ist, weil er ja von Fußball keine Ahnung hat. In Deutschland unterstreicht es seinen wissenschaftlichen Nimbus, wer behauptet, daß diese Republik nicht mit Kriegsende, Grundgesetz, Währungsreform sich konstituierte und einen gemeinsamen Nenner fand. Sondern mit dem „Wunder von Bern“. Wie das 54er Endspiel die Schwarzweißkisten propagierte, brachte die Münchner Olympiade 72 und zwei Jahre drauf erneut eine Fußball-WM den Farbfernsehverkauf ins Rollen. Die lustigen Lederkrawatten aus Luxemburg hatten erst zu Ende pubertiert, als sie auch Bundesligafußball zeigen durften. Egal welcher Sender – Sport verkauft.

Formel-1-Rennen etwa waren in Deutschland so tot wie Jochen Rindt; dann flackerte es in den 80ern noch mal kurz auf, und dann waren sie eben so tot wie der junge Stefan Bellof. Oder der älterer Winkelhock. Man könne den Menschen zum Sonntagskaffee nicht das wahnwitzige Sterben junger Männer servieren, argumentierte Heribert Faßbender. Eben jener Ohrfeigenallerseits, der prompt als Sinnbild verzagter ARD-Zausel gemobbt wird von Beobachtern, die sich irrtümlich für kritisch halten. Einen Senna später argumentierte die Konkurrenz: Man könne den Menschen zum Sonntagskaffee nicht das wahnwitzige Sterben junger Männer zeigen. Schade eigentlich, und deshalb zeige man wenigstens Beinahe-Crashs und Hätte-sein-können-Unfälle in Superslomo.

Als Michael Schumacher zu fahren begann, riß er die RTL-Quoten von einer auf drei, vier Millionen hoch. Dann rutschte er ins Kiesbett, erlitt Getriebeschaden oder sonstwas, jedenfalls stürzten nach der diesbezüglichen Zeitlupe die Quoten wieder rechtwinklig zu Tal, und im Sender grübelte man, wo man einen zweiten deutschen Fahrer herbekommen könne. Da sei doch im Mercedes-Junior- Team noch einer gewesen, sogar besser als Schumi, weswegen er einen Vertrag in Japan bekommen habe, ob man den da jetzt vielleicht nicht rauskaufen könne. Der Rest ist kaufmännisches Geschick und heißt Heinz-Harald Frentzen.

Ähnlich selbstgebacken duftet der deutsche Boxsport, der in Henry Maske den ganz seltenen Glücksfall eines Boxers fand, dessen sich kein Sponsor schämen muß. Ein dummer Schläger hätte nicht mal diesen kurzen Boxboom durchprügeln können. RTL wurde nicht müde, das Klischee vom „Gentleman-Boxer“ zu betonen. Letzten Sonntag tauchte Maske in Hockenheim auf, wo er eine Runde im McLaren-Mercedes mitfuhr: Feiner Sportskerl, das! Dann hatte er noch einen Promo- Job beim PR-Tross der Telekom in Berlin. Na also pfui.

Maskes letzter Kampf gilt unter Experten gemeinhin als verschoben. Sir Henry hatte den bemerkenswerten Fehler gemacht, seinen Rücktritt anzukündigen; woraufhin sein Marktwert aus Sicht der Verbände und Sender implodierte: Was soll man mit einem Weltmeister, der nicht mehr kämpft? Maske lieferte seinen besten Fight und bekam sein miserabelstes Urteil: Niederlage nach Punkten, abtreten, Sendeschluß. In der Formel 1 ist der Betrug noch manifester: War Damon Hill eben noch Weltmeister, fährt er heute hinterher; auch Villeneuve hat halt keinen McLaren, der eigentlich ein „West“ ist, jedoch einen Mercedes-Motor hat, der aber bei Illmore hergestellt wird, jedenfalls falsche Reifen, guten Abend. Formel-1-Sieger sind so was wie Fußballteams, die gewinnen, weil der Gegner aus Sponsorengründen diesmal Ballettschuhe anhatte.

Soweit ernüchtert, ließe sich feststellen, daß bei der Tour de Francs nichts anderes als das Nötige passiert ist: Dem notorischen Doping-Gerücht ist endlich mal nachgegangen worden; und das geht während der Tour irgendwie besser als zu Weihnachten. Täter sind erwischt worden oder nach Hause entwischt, jedenfalls fuhr angesichts ernsthafter Kontrollen nur noch die Hälfe der Fahrer weiter. Wer weiterfuhr, war entweder nicht oder verdammt geschickt gedopt; der diesjährige Toursieg ist nicht weniger wert, sondern mehr: Die Chance, daß der Sieger gedopt war, ist etwas geringer. Störend empfand ich eine Kommentarstrecke auf der letzten Etappe, als die Betrachtung über den Sender frömmelte, man wäre doch auch mit einem Stundenmittel von 35 statt 45 Kilometern zufrieden; dann müsse niemand dopen. Das hatte Jan Ullrich auf der Bergetappe schon ausprobiert und prompt unter aufbäumender Verzweiflung nämlicher Kommentatoren den Sieg vergeigt. „Hungerast!“ analysierten sie händeringend. Oder Apotheke verpaßt? Man wird doch noch fragen dürfen. Aber natürlich nicht müssen.

Daß die ARD bereit war, sich mit dem Team Telekom ins Bett zu legen, mag künftigen Rechtehändeln dienlich sein. Es war genauso dumm wie der Streik der Fahrer gegen Dopingkontrollen, gegen den Versuch also, ihrer Sportart das Ansehen zu bewahren. Daß nach dem dümmlichen Gejaule aller Printmedien über die Fußball- WM-Kommentatoren die gleiche Sippe jetzt noch mal über die Tour- de-France-Berichterstattung herfällt, ist noch etwas Übleres: langweilig. Die spannendste Frage für die nächste Tour ist, ob Bild sie kaputtschreibt, wenn Kirch die Rechte hat. Etwas billiger müßten sie jetzt geworden sein. Die ARD begnügt sich derweil mit einer „Tansania-Tour“. FAZ, FR, SZ, dpa und andere kündigen diese Woche sehr wohlwollend eine Reportage-Reihe des Afrika-Korrespondenten Hans-Josef Dreckmann an. Das ist ihm zu gönnen, und erst recht seinem weniger marktgängigen Thema. Wie man hört, hatte der WDR die Fernsehkritiker auf eine fünftägige Reise nach Nairobi geladen.