Das Kreuz ist außer Kontrolle geraten

■ In Auschwitz hungert ein polnischer Ex-Abgeordneter für den Verbleib des „Papstkreuzes“. Es hagelt Proteste, die Kirche schweigt

Warschau (taz) – Daß in Auschwitz, dem größten Konzentrationslager der Nationalsozialisten in Polen, jemals wieder gehungert würde, hätte niemand für möglich gehalten. Doch der früherer Parlamentsabgeordnete Kazimierz Switon, der schon mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen vor Gericht stand, verteidigte seit Ende Juni nicht nur 42 Tage lang das „Papstkreuz von Auschwitz“ im Hungerstreik, er war sogar bereit, an dieser Stelle „für die Ehre Polens“ zu sterben.

Auf Bitten des Stettiner Erzbischofs Kazimierz Majdanski nimmt er seit einer Woche wieder Nahrung zu sich. Doch noch immer harrt er vor dem ehemaligen Konzentrationslager in einem Zelt aus und beobachtet, wie der Wald von Kreuzen rings um das acht Meter hohe „Papstkreuz“ immer größer wird.

Inzwischen hagelt es Proteste aus aller Welt. Miles Lerman, der dem Rat des Holocaust-Museums in Washington vorsteht, spricht von einer „Provokation, mit der die polnisch-jüdischen Verhandlungen über die Zukunft des ehemaligen KZ Auschwitz beeinträchtigt werden sollen“.

Die Kreuze vor dem Stacheldraht von Auschwitz seien nicht als „Zeichen des Glaubens“ aufgestellt worden, sondern zu rein politischen Zwecken. „Sie stehen in der von der Unesco festgesetzten Schutzzone rund um das ehemalige KZ Auschwitz. Damit verletzen sie den 1978 zwischen Polen und der Unesco geschlossenen Vertrag.“

Lerman ist sich sicher, daß die Regierung wie auch die katholische Kirche in Polen die „einzig richtige Entscheidung treffen und die Kreuze so schnell wie möglich entfernen werden“. Dieser Argumentation schlossen sich inzwischen die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel wie auch andere jüdische Organisationen an.

Auch die Juden Polens haben bereits mehrfach gegen das „Riesenkreuz“ protestiert. „Das Symbol von Auschwitz ist der Schornstein des Krematoriums“, erklärte der Oberrabbiner Polens, Menachem Pinchas Joskowicz, bereits im März dieses Jahres. „In Auschwitz sollte weder ein Kreuz noch ein anderes religiöses Symbol stehen.“

Damit hatte der Rabbiner, der selbst ein Überlebender des Konzentrationslagers von Auschwitz ist, auf eine Predigt des Primas Jozef Glemp reagiert, in der dieser versichert hatte: „Das Kreuz stand, steht und wird stehen.“

Inzwischen aber, das geben auch etliche Geistliche zu, ist das Kreuz „außer Kontrolle geraten“. Doch bislang hält sich die Kirche bedeckt und zögert mit einer eindeutigen Stellungnahme zu den Ereignissen. Switon hatte mit seinem Hungerstreik sowohl vom Primas der katholischen Kirche Polens als auch von Ministerpräsident Jerzy Buzek eine schriftliche Zusage erzwingen wollen, die den Verbleib des vor zehn Jahren illegal aufgestellten Kreuzes neben dem damaligen Karmeliterinnenkloster sichern sollte.

Die Ursache für die Eskalation des Streits ist in einer vorschnellen Information der Öffentlichkeit durch den Bevollmächtigten der Regierung für den Kontakt mit der jüdischen Diaspora zu suchen. Krzysztof Sliwinski hatte im Frühjahr dieses Jahres die Vereinbarung zwischen über 20 jüdischen Organisationen, der Regierung und der katholischen Kirche Polens über die Zukunft der Gedenkstätte Auschwitz bekanntgegeben – vor der Unterzeichnung des Vertrages.

Das acht Meter hohe „Papstkreuz“, so Sliwinski in einem Interview, solle ersetzt werden durch ein Denkmal für die auf dem Kiesplatz erschossenen Polen. Zwar würde es auf dem Hinrichtungsplatz weiterhin ein Kreuz geben, doch das „Papstkeuz“ selbst würde an anderer Stelle aufgestellt.

Die Folge waren mehrere erboste Aufrufe des ultrakatholischen Senders Radio Maryja, zu dessen „Familie“ sich heute über sechs Millionen Hörer bekennen, das „Papstkreuz in Auschwitz mit allen Mitteln zu verteidigen“. Seither sind die Verhandlungen keinen Schritt weitergekommen, der fast fertige Vertrag wurde nie unterschrieben. Und die Kirche schweigt. Gabriele Lesser

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