Ein erschöpftes Land kehrt zu sich selbst zurück

Thailand und die Asienkrise: Das exportorientierte Entwicklungsmodell wird inzwischen radikal in Frage gestellt  ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch

„Dies ist ein Überfall! Keine Bewegung!“ ruft der junge Mann in einem Bangkoker Restaurant. „Wir befinden uns in der IWF-Ära – geben Sie uns Ihr Geld, wir zahlen es später zurück!“ Sogar gewöhnliche Gangster machen inzwischen in Thailand Scherze über den Internationalen Währungsfonds (IWF), den die Regierung um Hilfe bat, als die Asienkrise im Juni 1997 mit dem Kurssturz des thailandischen Baht ihren Anfang nahm. Denn ein Ende der Misere ist bislang nicht in Sicht.

Ärger und Ratlosigkeit bestimmen die Debatten der Thais, was schiefgelaufen ist und wie man aus der Krise rauskommt. Die mit einem 17,2-Milliarden-Dollar-Kredit verbundene bittere IWF-Medizin scheint völlig unwirksam: Obwohl die Regierung bislang brav den Anweisungen der Banker aus Washington gefolgt ist, 56 marode Geldhäuser geschlossen, die übrigen Banken saniert hat, Handelsschranken abbaut, Zinsen hoch hält und die Staatsausgaben streng kürzt, rutscht das Land immer tiefer in die Rezession. Nach neuesten Schätzungen wird die Wirtschaft in diesem Jahr um über 5,5 Prozent schrumpfen. „Thaitanic: Ein Jahr später, und wir sinken immer noch“, kommentierte die Bangkok Post sarkastisch.

Statt zu helfen, habe das Reform- und Sparpaket die Rezession noch beschleunigt, klagt ein früherer Vizepremier, der vor 14 Monaten die Ankunft des IWF gefeiert hatte. Und auch in der gegenwärtigen Regierung wird der Streit darüber, ob der Fonds „uns blind auf einem schlüpfrigen und tückischen Pfad in eine unbekannte Zukunft führt“, immer lauter geführt.

Finanzmakler, Wirtschaftsprofessoren und Soziologen beschwören die Behörden, den Anweisungen des IWF nicht mehr sklavisch zu folgen: Wir sparen uns tot, heißt es. Senkt die Zinsen, damit die Fabriken wieder Kredite aufnehmen können und nicht bankrott gehen müssen! Schafft massenweise Arbeitsplätze durch Großprojekte! An Vorschlägen fehlt es nicht. Einer ist eine Art asiatischer Panamakanal durch Südthailand vom Golf von Thailand zum Indischen Ozean.

Doch längst geht die Debatte über die Kritik des IWF-Programmes hinaus: Das bisherige Entwicklungsmodell selbst ist in Verruf geraten, das dem Land eine Dekade atemberaubenden Booms bescherte und es zugleich so anfällig für die Krise machte.

Die Phase des allein vom Export bestimmten Wachstums sei vorbei, meint der bekannte Kolumnist Chang Noi. Irrigerweise glaubten der IWF und die thailändische Regierung immer noch, das alte Wachstumsmuster, das auf ausländischen Investitionen und der Exportindustrie beruht, „irgendwie zu neuem Leben erwecken“ zu können.

Statt dessen werde die thailändische Wirtschaft „stärker auf die eigenen Kräfte bauen müssen“, erklärt Chang. Das meine vor allem, die eigene Landwirtschaft zu stärken und auch mehr für den einheimischen Markt zu produzieren – ohne allerdings die Exportmärkte im Ausland zu vernachlässigen.

Die Bedingungen, so Chang Noi, seien gut: „Mit einer großen Bevölkerung, einer ausreichenden Lebensmittelproduktion, relativ gut ausgebauter Infrastruktur und einer heimischen Unternehmerschaft hat Thailand Wahlmöglichkeiten, die nicht jedes Land besitzt.“

Die Krise hat die düstersten Befürchtungen der Linken und der sozial engagierten Buddhisten bestätigt, die schon lange und unermüdlich davor warnten, daß ungezügelter Kapitalismus, wie er in Thailand herrsche, die Umwelt unrettbar zerstöre und die Kluft zwischen Arm und Reich dramatisch vertiefe. Viele dieser Sozialkritiker sind in der bunten Bauern-, Slum-, Umwelt- und Bürgerrechtsbewegung zu finden.

Vor allem die Dachorganisation „Forum of the Poor“, richtet immer wieder Petitionen an Regierung und IWF und holt die Leute auf die Straße. „Es sind die Armen, die später die Kredite zurückbezahlen müssen, mit dem der IWF jetzt die großen Banken rettet“, sagt der Aktivist Prasitiporn von „Friends of the People“.

Der linke Professor und Aktivist Walden Bello vom entwicklungspolitischen Institut „Focus on the Global South“ an der Bangkoker Chulalongkorn-Universität sieht ganz schwarz: Die Krise und die IWF-Politik dienten vor allem den Interessen der US-Konzerne und führten in eine „neue Kolonialisisierung“, warnt er. König Bhumibol gab bereits im letzten Herbst den Ton für die jetzige Debatte vor: Er forderte die Bevölkerung auf, sich wieder auf die traditionellen Werte zu besinnen und nicht mehr über die eigenen Verhältnisse zu leben.