Jüdische Gemeinde vor der Räumung

■ In Hannover muß der Vorstand der Jüdischen Gemeinde mit einer Zwangsräumung rechnen. Streit um Wahlverfahren nunmehr beendet?

Hannover (taz) – Dem früheren Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hannover, der seit zwei Monaten das Gemeindehaus und die hannoversche Synagoge besetzt hält, droht die Zwangsräumung. „Falls der frühere Gemeindevorstand nicht von sich aus die Einrichtungen und Unterlagen der Jüdischen Gemeinde herausgibt, wird das Verwaltungsgericht am Mittwoch einen Gerichtsvollzieher beauftragen“, erklärte gestern ein Gerichtssprecher. Zuvor hatte die 6. Kammer des hannoverschen Verwaltungsgerichts einen Beschluß gefaßt, mit dem der seit 1995 andauernde Konflikt in Niedersachsens größter Jüdischer Gemeinde zu einem Ende kommen könnte. Die Kammer hatte einen Räumungsbeschluß des Jüdischen Schieds- und Verwaltungsgerichts beim Zentralrat der Juden auch für weltlich vollstreckbar erklärt.

Die hannoversche Jüdische Gemeinde zählt – je nach Sichtweise der erbittert streitenden Fraktionen – 850 oder etwa 2.000 Mitglieder. Vor acht Jahren, bevor die Zuwanderung russischer Juden begann, waren es noch 800. Das Stimmrecht dieser zugewanderten Juden und damit die Frage, ob die Zuwanderer vorbehaltlos als Juden anerkannt und in die Gemeinde aufgenommen werden sollen, ist der eigentliche Streitpunkt. Als 1995 eine Gemeinderepräsentanz gewählt werden sollte, erwirkte der Sohn des langjährigen Gemeindevorsitzenden Leo Kohn per einstweiliger Verfügung eine Unterbrechung der laufenden Wahl. Der Landesverband, so argumentierte Sohn Claudio Kohn, habe etwa 350 aus Rußland zugewanderte Juden zu Unrecht als wahlberechtigt und damit als Juden anerkannt.

Die einstweilige Verfügung wurde zwar alsbald wieder aufgehoben, und die Wahl konnte fortgesetzt werden. Doch die Wahlurne mit den vor der Unterbrechung abgegebenen Stimmen hatten zwei Gemeindemitglieder bei einem Notar hinterlegt, von denen eines dann dem Notar die Erlaubnis zur Herausgabe der Urne verweigerte. Die Folge war ein bis zum Bundesgerichtshof reichender und bis zum Frühjahr 1998 währender Rechtsstreit, in dem schließlich die Zustimmung zur Freigabe der Wahlurne erzwungen wurde. Zwischenzeitlich stellte der weiter amtierende Gemeindevorstand um Leo Kohn – seit 32 Jahren in der Leitung tätig – einen orthodoxen Rabbiner an, der alle hannoverschen Juden auf ihr Judentum überprüfte. Als der alte Gemeindevorstand auf Grundlage dieser Prüfung im Frühjahr Wahlen veranstalten wollte, stieß er sowohl bei der Gemeindeversammlung als auch beim Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat der Juden auf Widerstand. Dieses innerjüdische Gericht hatte im Mai, nachdem die Wahl von 1995 endlich ausgezählt worden war, die Übergabe der Gemeinderäume an den neuen Vorstand angeordnet. Nachdem sich der neue Vorstand schon einmal mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers Zutritt zu den Räumen verschafft hatte, stellte das Amtsgericht Hannover fest, daß eine direkte Zwangsvollstreckung durch eine Entscheidung einer jüdischen Gerichtsbarkeit nicht statthaft sei. Daraufhin besetzte der frühere Vorstand um Leo Kohn erneut die Gemeinderäume – und der neue Vorstand wandte sich an das Verwaltungsgericht. Jürgen Voges