Analyse
: Wird alles besser?

■ Manfred Kanther verkündet: Die Kriminalitätslage entspannt sich

Das Böse ist kurz vor der Wahl nicht mehr ganz so schlimm, vermeldet Bundesinnenminister Manfred Kanther. Deutschland, so die Botschaft des gestern vorgelegten Jahresberichts zur Kriminalitätslage 1997, wird keineswegs immer krimineller. In den fünf Jahren seit 1993 sank die Zahl der registrierten Straftaten von 6,75 Millionen auf 6,6 Millionen. Neu ist diese Erkenntnis nicht. Kriminologen haben schon häufig darauf verwiesen, daß die um sich greifende Kriminalitätsfurcht nicht unbedingt mit einer entsprechenden Kriminalitätsentwicklung korrespondiert. Vergeblich. Schließlich behauptete auch ein so berufener Experte wie Kanther jahrelang, daß alles immer schlimmer wird, wir deshalb mehr, bessere und entschlossenere Gesetze brauchen.

Zum Beispiel das Geldwäschegesetz von 1993, die Kronzeugenregelung von 1994, das Korruptionsbekämpfungsgesetz von 1997, beschleunigte Verfahren und verdachtsunabhängige Personenkontrollen. All diese Gesetze sollen nun bewirkt haben, daß Kfz-Diebstähle um ein Drittel, die Zahl der Wohnungseinbrüche um fast ein Fünftel und der durch Kreditkartenbetrüger verursachte Schaden um ein Viertel zurückgegangen sind? Ja, selbst die Zahl der Morde und Totschläge. Daß das eine mit dem anderen zu tun hat, glaubt mit Sicherheit auch Kanther nicht. Seit über zwanzig Jahren liegt die Zahl von vollendeten Morden mit leichten Schwankungen konstant bei 1,4 pro 100.000 Einwohner. Und die hohe Zahl der Kfz-Diebstähle in den frühen neunziger Jahren war nur zum Teil auf die Internationale der Autodiebe zurückzuführen, eher – die Versicherungen wissen ein Lied davon zu singen – auf massenhaften Versicherungsbetrug. Sprich, Schnäppchenjäger ließen ihr ausrangiertes Auto gerne auf Bestellung in Polen stehlen. Die Ermittlungen der Versicherer läßt kreuzbraven Bürgern den Nebenerwerb inzwischen als zu risikoreich erscheinen. Der Rest des Erfolges ist auf elektronische Wegfahrsperren zurückzuführen.

Allzu laut darf Manfred Kanther trotz Wahlkampf nicht jubilieren. Ein bißchen braucht er auch künftig das Böse, um sich weiter als Sheriff anbieten zu können. Böse sind weiterhin Kinder und Jugendliche, die meist durch Ladendiebstahl und Sachbeschädigung, weniger durch Gewaltdelikte auffallen. Böse bleiben natürlich auch die Ausländer, deren Anteil an der Organisierten Kriminalität (OK) hoch sei. Unerwähnt bleibt, daß die OK bei der Gesamtkriminalität nur eine marginale Rolle spielt. Böse sind schließlich die Haschisch- und Kokainkonsumenten – auch deren Zahl steige. Mit einer entschlossenen Armutsbekämpfung, einer liberalen Drogen- und integrativen Ausländerpolitik ließe sich die Kriminalität weiterhin wirkungsvoll bekämpfen. Aber nicht mit Kanther. Eberhard Seidel-Pielen