Mit Aktentasche und Mordwerkzeug

■ Mehr als ein Spektakel: Takashi Ishiis Yakuza-Thriller Gonin kommt ins 3001

Herr Ogiwara ist einer von jenen Männern, die mit Vesperbrot in der Aktentasche pünktlich die Vorstadtidylle verlassen — auch dann, wenn sie schon vor langem ihren Job verloren haben. Und irrt er auch noch so verzweifelt durch Tokios Red-Light-Bezirk Shinjuku, so kann sich seine Familie sicher sein, daß er immer wieder den Weg zum Telefon finden wird, um sich nach dem Wohlergehen seiner Lieben zu erkundigen und von der Arbeit zu klagen, der er längst nicht mehr nachgeht. In Takashi Ishiis Gonin treffen wir Herrn Ogiwara zum ersten mal an einem der dunkelsten Orten sozialer Verwahrlosung, die die High-Tech- und Kapital-Metropole aufzubieten hat: einer Baseball-Übungshalle, in der frustrierte Manager sich automatisch mit Bällen beschießen lassen. Herr Ogiwara ist das Zerrbild dieser Welt, und er droht, den Kopf zu verlieren. Auf dem Court kehrt sich sein Innerstes nach außen, als er den Discobesitzer Bandai anfällt, der beim Abschlagen mit perversem Genuß dem Handy-Klingeln lauscht, ohne abzunehmen.

Herr Ogiwara und Bandai sind zwei der fünf Männer (japanisch „gonin“), die sich aus unterschiedlichsten Motiven zusammentun, um den Yakuza-Boß Ogoshi auszurauben – nur um den von Takeshi Kitano grandios unbewegt gespielten Berufskiller auf die Fersen gesetzt zu bekommen. Auch wenn der schon vor drei Jahren gedrehte Gonin jetzt, durch Kitano geadelt, endlich in unsere Kinos kommt, unterscheidet er sich von diesem fundamental. Wo Kitano ein Meister der elliptischen Erzählweise und visuellen Abstraktion ist, läßt Ishii filmisch die Balken krachen, wie man das sonst allenfalls in Hongkong tut. Eher ein Celluloid gewordener Manga als kinematographischer Steingarten, war Gonin Ishiis Spielfilmdebüt nach 13 Animationsfilmen. Trotz aller oktanreicher Kinetik, die Gonin bisweilen auf Kosten der Story entfacht, sind Ishiis Figuren jedoch stark genug, um für berührende Momente sorgen zu können. Und wie in jedem guten Gangsterfilm dienen diese Figuren und ihre Geschichten eben nicht nur dem Abfeiern einer irgendwie coolen Yakuza-Ästhetik, stilisierter Gewalt oder anderer „Härte“-Insignien, sondern als Angelpunkte eines sozialen oder psychologischen Realismus hinter den Bildern, der von dem Druck erzählt, der auf seinen Trägern lastet.

Dieser Mehrwert jenseits des Spektakels stellt sich spätestens dann ein, wenn die Dinge anfangen, schiefzulaufen und wir Herrn Ogiwara zu Hause wiedertreffen. In einer alptraumhaften Szene kehrt er nach dem gelungenen Coup zur Familie zurück, die er wohl selbst ermordet hat. Während die Leichen schon den Boden zieren, schneidet Ishii immer wieder in die Subjektive seines Protagonisten, der zu Für Elise-Klängen den ritualisierten Alltag zwischen Schaumbad und Abendessen halluziniert. Diese und auch einige andere Szenen, die Gonins flüssige Kamera en passant anschwemmt, sind so beklemmend, daß man gerne auf den einen oder anderen manierierten Shoot-out verzichtet hätte. Ishii hat nämlich das Zeug dazu. Tobias Nagl Do, 6. bis Mi, 12. August, 20.30 Uhr