Vom Winde gedreht

■ Im Schatten der Mühle: Discoeffekt, Lichtreflexe, Schattenwurf / Familie Zeiger „feiert“ Jubiläum im Kampf gegen Windkraftanlage im ostfriesischen Wittmund

„Ich konnte die Mühle von meinem Arbeitsplatz aus sehen. Das hat mich fertig gemacht“, sagt Herrmann Zeiger, 59, aus Bensersiel. Während er arbeitete, saß seine Frau zu Hause, alleine mit dem Schatten. „Meine Frau mußte die Sache alleine durchstehen.“

1993 wurde den Zeigers knapp 200 Meter vor ihrem Haus eine 450 Watt Windkraftanlage vor die Nase gesetzt. Zuerst sollte die Mühle nur ein Kapazität von 250 Watt haben. Die wurde aber nicht genehmigt, die sei zu laut, argumentierten die Behörden. Die Merkwürdigkeiten begannen: Sie genehmigten plötzlich eine doppelt so große Anlage. „Die haben uns ausgelacht, als wir uns bei der Gemeinde über Lärm und Schattenwurf der Windmühle beschwert haben“, erzählt Herrmann Zeiger. Die Gemeinde riet: Als Schutz gegen Reflexe sollten sie tagsüber die Rolläden an Türen und Fenstern verschlossen halten. Als Rente für Gertrud Zeiger gedacht, vermietete die Familie Ferienwohnungen. Prompt bekam sie wegen des Lärms der Windmühle Absagen von Gästen. Denen, so schlug der Bürgermeister der Gemeinde Esens vor, denen sollten die Zeigers bei der Vorab-Buchung gar nichts von dem Windquirl erzählen. „Man konnte vor dem Haus nicht miteinander reden“, meint Gertrud Zeiger, Die 58jährige bekommt „Zustände“, wenn sie in die Gerichtsdokumente oder den Stapel von Tagebüchern schaut: „Ich hab' alles aufgeschrieben, sonst wäre ich verrückt geworden.“

Der Oberkreisdirektor besuchte die Zeigers und meinte das auch: „Sowas geht nicht.“ Nur knapp eine Stunde hielt der Mann den Lärm aus, den Zeigers fünf Jahre ertragen mußten. Geholfen hat es nichts. Der Verwaltungsmann vergaß die Zeigers und bestätigte die Genehmigung der Mühle.

Bundesweit bekannt wurde der Steitgegenstand als „Zeigermühle“. Korrekt müßte sie aber nach ihrem Besitzer „Burmann-Mühle“ heißen. Bürgermeister, Oberkreisdirektor, Regierungspräsident – alle waren für Burmann. Die Zeigers legten dennoch Widerspruch gegen die Genehmigung ein. Dabei hätte alles so einfach sein können. Gut 900 Meter vom Zeigerhaus entfernt beginnen die großen Windparks Utgast I und II. An Utgast I ist auch Burmann beteiligt. Aber eine Windmühle sollte unbedingt auf der Weide, keine zweihundert Meter vor dem Haus der Zeigers, stehen. Sie wollten als Neider ihren Nachbarn ruinieren, stand nach dem Einspruch der Zeigers in der lokalen Presse zu lesen. Gertrud Zeiger wurde von Bekannten nicht mehr gegrüßt. Ihr Mann nicht mehr zum Bogenbauen eingeladen. Wer in Ostfriesland einen Blumenbogen zum Geburtstag, Ehejubiläum, Ausbildungsabschluß oder Geburt von den Nachbarn vor die Tür bekommt, der ist anerkannt. Nach über 300 Jahren Familientradition an der Küste war Herrmann Zeiger nach seinem Einspruch gegen die Windmühle - Fremdschiet. Zu Hause machte ihn das ständige Sirren und Geflacker der Windmühle kirre, auf der Arbeit in Bensersiel mobbten die Kollegen. Das machte ihn nervlich fertig.

Als die Betreiber des Windparkes Utgast versuchten, Zeigers das Haus abzukaufen, schien die Grenze des Erträglichen überschritten. „Wir konnten nicht mehr“, umreißt Gertrud Zeiger schlicht die Situa-tion. Plötzlich bot die Gemeinde der Familie an, ihr einen Platz im Altenheim zu besorgen. Dann stellte sich heraus, daß der Anwalt der Zeigers offensichtlich Unterlagen, Eingaben und Anfragen nicht an das Gericht weitergeleitet hatte. Durch Zufall erfuhren sie: Der Mann war Rechtsberater des größten Windmühlenherstellers der Region. Daten von Lärmschutzgutachten tauchten anders als vor dem Zeigerhaus gemessen in den offiziellen Vorlagen auf und so weiter. Mit letztem Trotz und der Unterstützung von Freunden begannen die Zeigers, selbst Messungen anzustellen, Ortstermine abzumachen und bei Gericht Eingaben einzureichen. Mit Erfolg, nach fünf Jahren bekamen sie Recht.

Damit hat die „Sache“, wie Zeiger den Rechtsstreit mit der ostfriesischen Gemeinde Esens um den Standort der Windkraftanlage nennen, ein – allerdings nur vorläufiges – Ende gefunden. Die Mühle mußte versetzt werden. Abriß und Neuaufbau der Windmühle haben knapp ein Million Mark gekostet. Die Gemeinde stellt sich stur und die Windmühle wieder auf - dort, wohin sie sie nie selbst haben wollte. Anstatt 200 steht die Anlage jetzt 500 Meter vom Zeigerhaus entfernt. Zwar nicht mehr auf der Weide des Besitzers, aber in einem ehemals wertvollen Feuchtwiesengebiet. Als alternativen Standort hatte die Gemeinde selbst vor fünf Jahren diesen Standort für die Windmühle abgelehnt: aus Naturschutzgründen. Der Rechtsstreit geht weiter. Thomas Schumacher