OSI-Altlasten Beine gemacht

Am Otto-Suhr-Institut führt eine neue Prüfungsordnung zu einem ungewohnten Prüfungsboom. 300 ältere Semester nutzen die letzte Gelegenheit zum Absprung von der Uni  ■ Von Ralph Bollmann

Ute Biegert hat den größten Streß schon hinter sich. Vor ihrem Schreibtisch im Prüfungsbüro des Otto-Suhr-Instituts (OSI) an der FU defilieren in durchschnittlichen Semestern 150 angehende Politologen vorbei, um sich fürs Diplom anzumelden. Doch in diesem Jahr ist der Rhythmus gründlich durcheinandergeraten: Für den kommenden Prüfungstermin haben sich spärliche 46 Prüflinge angemeldet. Im Moment dagegen schwitzen stolze 300 Prüflinge über ihrer Diplomarbeit, Abgabetermin ist am Freitag nächster Woche.

Rund jeder siebte OSI-Student ackert also derzeit für den Abschluß. Ausgelöst hat den plötzlichen Prüfungs-Boom eine neue Prüfungsordnung aus dem Jahr 1993. Wer damals schon am OSI eingeschrieben war, darf sich nach der alten Ordnung diplomieren lassen. Für die Übergangsfrist nahmen die Akademiker Maß an der Regelstudienzeit von knapp fünf Jahren, also ist dieses Jahr Schluß mit dem Prüfen nach altem Procedere. Nicht alle haben die Gelegenheit genutzt: 836 der 2.118 OSI-Studenten sind seit mehr als fünf Jahren eingeschrieben, 147 sogar seit mehr als zehn Jahren.

Bodo Zeuner, der Vorsitzende des Prüfungsausschusses, hat auch mit den 300 Prüflingen genug zu tun. „Es stöhnen alle“, weiß er aus dem Kollegenkreis der OSI-Professoren zu berichten. Allein auf ihn warteten 24 Diplomarbeiten, die bis zum mündlichen Examen im November gelesen sein wollen. Der Prüfungszeitraum, der gewöhnlich die letzten sechs Wochen vor Weihnachten umfaßt, wird in diesem Jahr bis in den Februar verlängert. In 300 eigens zusammengestellten Prüfungskommissionen müssen der Gewerkschaftsexperte Zeuner und seine Kollegen Überstunden machen.

Glücklich sind auch die Studenten nicht. 22 Semester hat Ralf Thunhorst nach eigenem Bekunden schon „fröhlich vor sich hin studiert“. Wäre es nach ihm gegangen, hätten es noch einige Semester mehr werden können bei „dem Peter“, „dem Bodo“ oder „dem Hajo“, wie er die Professoren Grottian, Zeuner und Funke in alter OSI-Tradition nennt – bei aller vorgespiegelten Hierarchiefeindlichkeit doch nicht ohne Stolz, mit den Dozenten auf solch vertrautem Fuße zu verkehren.

„Zeit“, bekennt der 32jährige, „spielt eigentlich keine Rolle, mir macht das Studium Spaß.“ Nach den Erfahrungen des vergangenen Streikwinters hätte er sich gerne noch im Asta engagiert. Die „ganze blöde Abschlußscheiße“ empfindet Thunhorst „als Druck von außen“. Daß ihn der Wechsel der Prüfungsordnung, will er nicht noch Scheine nachmachen, jetzt zum Diplom gezwungen hat, sei eine „Unverschämtheit“ und „im Grunde gar nicht einzusehen“. Andererseits war ihm der „Tritt in den Arsch schon fast willkommen“, er sei da „sehr gespalten“.

Daß ihn die Diplomarbeit „zum Psychopathen gemacht“ hat, daß er „nicht mehr arbeiten, essen, schlafen“ kann, daß er zuletzt an Magenkrämpfen litt – dafür mag er den Zwang zum vorzeitigen Abschluß nicht verantwortlich machen. „Sonst hätte sich der Druck nur verschoben“, vermutet er, auch wenn er es selbstredend besser fände, „überhaupt keinen Druck zu haben“. Zumal nach dem Examen ohnehin kein Job warte.

Der durchschlagende Erfolg der ungewohnten Frist ist für den Ausschußvorsitzenden Zeuner aber kein Argument für eine Hatz auf die sogenannten Langzeitstudenten. Es sei „immer gut, an den Abschluß zu erinnern“, auch „Angebote“ zur Beratung oder Termine „für bestimmte Leistungen“ seien sinnvoll. Eine ganze Motivationsphilosophie lasse sich daran aber nicht knüpfen.

Dennoch ist der nächste Streich schon in Vorbereitung. Weil die neue Studienordnung „nichts verbessert“ und „nur alles kompliziert“ habe, soll sie schon wieder geändert werden – auch deshalb, weil der Verkleinerung des OSI manches Spezialfach zum Opfer fällt. Eine Ausschlußfrist, kündigt Zeuner vorsorglich an, wird es auch dann wieder geben.