Hoffnung Stein für Stein begraben

■ Bis zuletzt geben die Helfer die Hoffnung nicht auf, Überlebende in den Trümmern des explodierten Mietshauses in Steglitz zu finden. Am gestrigen Nachmittag wurde aber der fünfte Tote geborgen

Gegen 11 Uhr morgens war das bange Warten zunächst vorbei. Die Hoffnung der Helfer sackte in den Keller – dort, wo sie gerade den 13jährigen Sven tot geborgen hatten. Manfred Lintzer war einer von denen, die den Jungen fanden und ihn unter großen Mühen bergen mußten. „Nach all der Arbeit und der Hoffnung war das besonders schwer“, erklärte er.

Noch am Dienstag war die Hoffnung auf eine Rettung des Jungen greifbar nahe. Mit Hilfe eines hochsensiblen Bioradars hatten die Helfer Herztöne geortet, die bis zum gestrigen Morgen für die Herztöne des Jungen gehalten wurden. Gestern wurde jedoch immer deutlicher, daß es sich dabei wohl um die Herztöne von Svens Hund Bobby gehandelt haben mußte. Der Hund konnte gestern morgen gegen 8 Uhr gerettet werden.

Ganz still ist es an der Unglückstelle zum Zeitpunkt der Verkündung des Todes von Sven und einer weiteren Bewohnerin durch Polizeipräsident Hagen Saberschinsky. Die Maschinen stehen still, die Helfer wurden von dem Schutthaufen abgezogen, und selbst die in großer Anzahl anwesenden Medienvertreter können auch mal ausspannen – wenn ihnen danach ist.

„Die Bergung des Jungen hat sich als besonders schwer erwiesen“, erklärte Albert Broemme, Einsatzleiter der Feuerwehr, vor Ort. Der Junge lag nicht wie vermutet in seinem Kinderzimmer, das wegen der Explosion in den Keller abgerutscht war. Statt dessen wurde die Leiche im vorderen Teil des Gebäudes gefunden. Ob der Körper durch die Wucht der Druckwelle nach vorne geschleudert wurde oder Sven sich zum Zeitpunkt der Detonation in einem anderen Zimmer befand, war noch unklar.

Ganz begraben mochte „Berufsoptimist“ Broemme die Hoffnungen auf die Rettung von Überlebenden gestern aber nicht. Deswegen hält die nachdenkliche Stille der Einsatzkräfte und Journalisten nicht lange an. Bis dahin galten noch vier Personen als vermißt, und das bedeutet für Broemme noch viermal die Möglichkeit, Leben zu retten.

Die Zahl der Einsatzkräfte wurde inzwischen von 400 auf rund 600 erhöht. Noch immer müssen sie mit der Hand Stein für Stein abtragen. Inzwischen kommt jedoch wenigstens streckenweise der 80-Tonnen-Kran zum Einsatz, auf den noch am Dienstag wegen erhöhter Verschüttungsgefahr verzichtet werden mußte. Die Suche nach den Vermißten gestaltet sich schwierig. „Wir wissen im Moment nicht, wo wir suchen müssen“, erklärt Broemme hilflos. Der Bioradar kann aus Zeitgründen nicht mehr eingesetzt werden. Jeder Einsatz der hochempfindlichen Geräte kostet rund 15 Minuten, weil die Bergungsarbeiten währenddessen eingestellt werden müssen, um die Messungen nicht zu gefährden. 15 Minuten, auf die die Helfer jedoch inzwischen nicht mehr verzichten können.

Unterdessen ist man bei der Suche nach den Ursachen der Explosion noch immer nicht auf verwertbare Hinweise gestoßen. „Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen können erst nach Abschluß der Bergungsarbeiten beginnen“, sagte gestern Polizeipräsident Saberschinsky. Derweil wird der Schutt auf ein freiliegendes Feld gebracht und dort später von den Kripobeamten Stück für Stück untersucht. Die Gasleitungen werden in ein Gebäude der Kripo in der Keithstraße gebracht. Die gefundenen Gegenstände der Bewohner werden zunächst asserviert und ausgewertet, erklärte Kriminaldirektor Horst Brandt. „Später werden sie selbstverständlich an die Eigentümer wieder zurückgegeben“, versicherte er.

Im Laufe des Nachmittags treffen auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und Innensenator Jörg Schönbohm an der Unfallstelle ein. Auch sie zeigen sich tief betroffen. Kurz nach dem Besuch wird der nächste Tote geborgen. Schon wieder wird ein bißchen Hoffnung begraben. Corinna Budras