■ Die Abtreibungspille RU 486 wird allseits vereinzelt begrüßt
: Zeichen von Integrität

Stell dir vor, es ist Wahlkampf, und keiner tritt gleich zu. Was den Bündnisgrünen mit ihrem Fünf- Mark-pro-Liter-Benzin-Beschluß nicht vergönnt war, erlebt derzeit die SPD-Bundestagsabgeordnete Marliese Dobberthien. Sie wagte einen Vorstoß in der heiklen Abtreibungsfrage und bekommt dafür von den politischen GegnerInnen Unterstützung. Dobberthiens Versprechen: Eine SPD-geführte Bundesregierung wird die umstrittene Abtreibungspille RU 486 auf dem Arzneimittelmarkt zulassen. Deutschlands Frauen sollten damit eine schonendere Abtreibungsmethode zur Auswahl erhalten, die ihnen einen chirurgischen Eingriff erspart.

In den USA, in Frankreich und in England ist die Abtreibungspille zwar zugelassen, aber nur auf Betreiben der politischen Spitzen. So setzte sich US-Präsident Clinton persönlich dafür ein, daß das US-Pendant zu Pro Familia („Polulation Council“) das Medikament einführen konnte.

Der ursprüngliche Hersteller, die Hoechst-Tochter Roussel Uclaf, hat inzwischen die Produktion eingestellt. Die momentane Produktionsstätte in Frankreich wird geheimgehalten, um Anschläge von militanten LebensschützerInnen zu verhindern.

Dobberthiens mutige Worte wurden überraschend positiv aufgenommen, sowohl von der FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als auch von der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Frauen- Union, Barbara Stober, wie auch vom CDU-Rechtsexperten Horst Eylmann. Die Bild-Zeitung titelte daraufhin: „,Große Koalition‘ für Abtreibungspille RU 486“. Was ist passiert? Hat sich im Wahlkampf ein parteienübergreifendes Netzwerk für mehr Frauenrechte gebildet? Hat sich die gesellschaftliche Stimmung stärker in Richtung weibliche Selbstbestimmung bewegt? Ein kurzer Blick in die politische Geschichte belehrt: Diejenigen, die jetzt Dobberthien zur Seite springen, haben nicht erst 1998 ihre Stimme für die Abtreibungspille erhoben. Als sie 1992 im Bundestag eine Debatte zu RU 486 initiierte, bekam sie ebenfalls schon Beifall von namhaften CDU-, CSU- und FDP-PolitkerInnen wie Eylmann, der damaligen Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger oder der obersten CDU-Frau Rita Süssmuth. Nur blieben diese Stimmen in der Minderheit.

Was heute überrascht, ist, daß die WortführerInnen von damals auch im Wahlkampf zu ihren unbequemen Meinungen stehen. Eine „große Koalition für Frauenrechte“ ist das noch lange nicht, aber ein Zeichen für Integrität. Barbara Debus