Ausblicke in die Tristesse

„Landschaft als Fremde“: Die Kunsthalle zeigt eine umfassende Ausstellung mit Bildern von Max Beckmann  ■ Von Hajo Schiff

Als einer der wenigen Künstler des 20. Jahrhunderts hat sich Max Beckmann ernsthaft mit der Landschaftsmalerei befaßt. Ernsthaft in doppeltem Sinne: ausdauernd und melancholisch gebrochen. Fast ein Drittel aller Bilder des für seine Figurenbilder bekannten deutschen Malers haben Stadtansichten, Parks oder Meeresküsten zum Thema. Und wie immer bei diesem Künstler mit seinem ausgeprägten Individualstil ist eine ausgiebige Verwendung von Schwarz in den Bildern anzutreffen.

Über die Dominanz der Farbe Schwarz bei Beckmann hat die Kuratorin Ortrud Westheider promoviert, als Abschied von der Hamburger Kunsthalle hat sie jetzt eine höchst gelungene Ausstellung zu verantworten: „Landschaft als Fremde“ zeigt im Obergeschoß der Galerie der Gegenwart über 60 Gemälde. In sieben Blöcken, hervorragend dem Grundriß angepaßt, werden die einzelnen Thematiken – von „Wege ins Bild“ bis „Ruinen der Moderne“ – exemplarisch durch das Gesamtwerk verfolgt, jeweils von frühen, fast noch spätimpressionistischen und eher hellen Farbigkeiten des Künstlers zu den späten Bildern aus den USA, wo Max Beckmann, gerade erst amerikanischer Staatsbürger geworden, 1950 starb. Dazu ein Raum mit den übrigen, thematisch nicht passenden Beckmann-Gemälden der Kunsthalle.

Betrachtet man den ungewöhnlich quadratischen Kopf des 1884 geborenen Beckmann, wie er in einer selbstgearbeiteten Bronze der dreißiger Jahre neben der Wand mit seinem Lebenslauf steht, könnte man meinen, daß nichts seine Energie zu brechen vermochte. Tatsächlich aber ist sein Leben voller Brüche und Entwurzelungen. Versperrt im Selbstbildnis des 23jährigen ein selbstbewußter, etwas dandyhaft bürgerlicher Jungkünstler den Ausblick auf Florenz, zerbricht die erste Karriere, die ihn wenig später schon in den Vorstand der Berliner Secession führte, im Kriegsjahr 1915. Als freiwilliger Sanitätshelfer treibt ihn die Kriegswirklichkeit in einen physischen und psychischen Zusammenbruch. Mit neuem Stil und neuer Ehefrau führt ihn sein zweiter Lebensabschnitt über viele Reisen zur Professur an der Frankfurter Städelschule. Doch seit 1933 verfehmen und verfolgen ihn die Nazis, 1937 geht er ins Exil nach Amsterdam, erst 1947 kann er schließlich in die USA emigrieren.

In all den Jahren versichert er sich durchgängig immer wieder der Umgebung. Mögen andere Künstler das Thema Landschaft für erledigt erklären, Beckmann malt die Ausblicke aus dem Hotelfenster, die Tristesse der Vorstädte, die gebrochene Kraft des Meeres, die Verformungen der Bäume und die Träume vom Süden. Nahezu alle seine Bilder, sehen sie noch so vor Ort gemacht aus, wurden im Atelier aus Erinnerungsbausteinen gemalt.

Der traditionell ausgebildete Maler kannte die Theorien des künstlerischen Entwurfs: In der Winterlandschaft von 1930 flankieren ein klarer und ein blinder Fensterflügel den Blick in den Garten. Dabei sieht das linke, blinde Fenster aus wie die Rückseite einer aufgespannten Leinwand, eine Reflexion auf die Renaissance, die Bilder als Blick aus dem Fenster ansah.

Mögen sie auch das Exil erleichtern, Beckmanns Landschaften sind keine Flucht: In den distanzierten, übersteigerten Perspektiven, den mitunter blickversperrenden Vordergründen und der melancholischen Farbigkeit sind sie ein deutliches Abbild einer Entfremdung. Dem durchaus touristisch reisenden Künstler verdichtet sich der Blick zu einer Nachschöpfung der Natur, die Ortrud Westheider als „anmaßend, distanziert und ironisch“ bezeichnet.

Nirgendwo in diesen Landschaften lockt ein falsches Glücksversprechen: „Das braune Meer mit Möwen“ ist nicht nur durch die niederländischen Farben am gestrandeten Boot ein Ausdruck des Exils. Auch ein Motiv wie die weite holländische Landschaft im von Mühlenflügeln verbauten Hochformat zu malen spricht von erlittenen Beschränkungen. Und gebrochene Bildstrukturen sind 1945 keine Stilmittel, sondern Ruinenrealität.

bis 25. Oktober. Katalog im Verlag Gert Hatje, 192 Seiten, gebunden, 38 Mark