Null Chancen für den Nulltarif

100 Hamburger Arbeitslose demonstrieren für kostenlose HVV-Tickets. Behörden basteln seit Monaten an Billig-Billett  ■ Von Judith Weber

Eine Minute lang durften Hamburgs Arbeitslose umsonst Bahn fahren. So lange braucht die Linie S1 vom Jungfernstieg zur Stadthausbrücke, und exakt diese Strecke legten die Erwerbslosen, die gestern zu einer „symbolischen Schwarzfahrt“ starteten, ohne Ticket zurück – mit Polizeibegleitung und höflicher Genehmigung der S-Bahn-Gesellschaft.

Richtung Bau- und Verkehrsbehörde ging es, wo Senator Eugen Wagner sein Büro hat. Mit dem SPDler wollten die rund 100 Arbeitslosen über eine sogenannte „Proficard“ verhandeln, ein kostenloses HVV-Ticket für Jobsuchende, SozialhilfeempfängerInnen und alle anderen, die an der Armutsgrenze leben. Schließlich, erklärt Renate Schumak von der „Solidarischen Psychosozialen Hilfe“, tragen die öffentlichen Verkehrsmittel ihren Namen nicht umsonst: „Das soll ja wohl heißen, daß sie von allen zu benutzen sind.“

Derzeit müssen Arbeitslose dafür monatlich 30 Mark zahlen. Die Karte, die sie bekommen, gilt morgens ab neun und nachmittags nicht zwischen vier und sechs Uhr. „Damit kann ich mich erst um einen Job kümmern, wenn alle anderen schon im Büro sind“, schimpft Judith Masanke vom Erwerbslosenausschuß der Gewerkschaft HBV. Wer nachmittags zu Bewerbungsgesprächen oder morgens früh zum Arbeitsamt will, müsse extra zahlen.

Härter trifft es noch die SozialhilfeempfängerInnen. Sie bekommen gar keine Ermäßigung; ein Monatsticket kostet sie also mindestens 68 Mark. „Im Regelsatz sind aber nur 25 Mark für Fahrgeld vorgesehen“, schimpft eine Demonstrantin. Und stehe nicht im Koalitionsvertrag zwischen SPD und GAL, daß man ein billiges Sonderticket schaffen wolle, zu dem Sozialhilfeempfänger nur zehn Mark monatlich beisteuern müßten?

Es steht drin. „Aber das ist nicht zuletzt eine Kostenfrage“, seufzt Sozialbehörden-Sprecherin Petra Bäurle. 82.000 Haushalte in Hamburg erhalten Sozialhilfe, und selbst wenn jeder nur ein Ticket bekäme, „würden die Kosten in die Millionen gehen“.

Seit Monaten verhandelt die BAGS darüber mit der Baubehörde. Auch die Grünen haben sich inzwischen eingeschaltet. „Klar ist, daß dem HVV kein zusätzliches Defizit entstehen darf“, erklärt deren verkehrspolitischer Sprecher Martin Schmidt. Er hofft deshalb, daß „der HVV durch so ein Ticket zusätzliche Fahrgäste gewinnt. Die bringen schließlich Geld.“

Fahrkarten zum Nulltarif dagegen „machen keinen Sinn“, wiegelt Schmidt ab – und befindet sich damit in bester Gesellschaft. Denn auch Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm hält so einen Vorschlag für „unrealistisch“. Sein Gewerkschaftsbund habe mit dem Motto der Demonstration nichts zu tun.

Vor der Tür der Baubehörde angekommen, bekommen die SchwarzfahrerInnen kaum anderes zu hören. Der Senator weilt im Urlaub, und Pressesprecher Christian Schuppe beschränkt sich auf einige knappe Sätze. „Die Stadt“, erklärt er, „kann sich den Nulltarif nicht leisten“.