■ Grundzüge eines Konzepts
: Was ist die Zwischenstadt?

Die historischen Kernstädte sind eingebunden in eine Peripherie aus Schnellstraßen, Tankstellen, Gewerbegebieten, Verbrauchermärkten, Wohnvierteln und Resten von Landwirtschaft und Wäldern. Diese Konstellation bezeichnet der Darmstädter Stadtplaner Thomas Sieverts als „Zwischenstadt“. „Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land“, wie es im Untertitel seines Buches von 1997 heißt (Vieweg-Verlag, Braunschweig, Reihe Bauwelt-Fundamente).

Dieser Zustand, in dem der Gegensatz zwischen Stadt und Land aufgelöst ist, ist für Sieverts kein Betriebsunfall, sondern Ergebnis einer historischen Entwicklung seit 200 Jahren, auf die Stadtplanung reagieren muß. Seit die Städte Anfang des 19. Jahrhunderts (in Bremen 1803) ihre Festungswälle geschleift haben, wuchert die Stadt aus einer Kette von jeweils rationalen Einzelentscheidungen in die Landschaft hinaus, zunächst konzentrisch entlang der neu entstandenen Eisenbahnlinien. Mit dem neuen Verkehrsmittel Auto entwickelt sich die Stadt, und das ist Thomas Sieverts Kernthese, nicht mehr auf ein geografisches Zentrum bezogen, sondern netzwerkartig. An den Knotenpunkten entstehen die neuen Zentren, Tankstellen, Verbrauchermärkte.

Drei Hauptgründe nennt Sieverts für das räumliche Wachstum der Städte, das in den vergangenen 50 Jahren weitergegangen ist, obwohl die Einwohnerzahl der meisten deutschen Großstädte stagniert oder sinkt: Die Fläche, die jeder Einwohner für sich persönlich nutzt, hat sich seit Anfang dieses Jahrhunderts vervier- bis verfünffacht. Wo früher 1.000 Menschen lebten, leben heute nur noch 200. Spezialisierte Funktionskomplexe haben den Rahmen der alten Stadt schon immer gesprengt: Fabriken, Shopping-Center, Zentralkrankenhäuser, Gesamtschulzentren.

Die „Zwischenstadt“ wird durch ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen geprägt, der Trend beschleunigt sich: Durch die Globalisierung des Kapitalismus, die Rationalisierung der Arbeit, die damit verbundene Auflösung fordistischer Fließbandproduktion und die Individualisierung der Lebensstile.

Wenn Arbeit, wie etwa in der Vier-Tage-Woche, zu intensiveren Blöcken zusammengezogen wird, können auch Pendelzeiten von zwei Stunden zwischen Heim und Arbeitsplatz erträglich erscheinen. Deshalb wird sich für viele Menschen die Polarisierung zwischen Wohn- und Arbeitsort noch verstärken. Gleichzeitig, so Sieverts, müssen die Deklassierten, die keine Arbeit haben, in ihrem direkten Umfeld eine Umgebung vorfinden, in der sich eine bescheidene, kleinteilige, aber von der Globalisierung weitgehend unabhängige lokale Ökonomie entwickeln kann. jof