Politik und andere Verbrechen

Horst Ehmke ist der erste Postminister a.D., der einen Krimi schrieb. „Global Players“ ist nicht schlimmer als die Wirklichkeit und diskutiert die Kanzlerfrage offen  ■ Von Kolja Mensing

Berlin, irgendwann in den nächsten Jahren: Das Kanzleramt riecht noch nach frischer Farbe, ist aber bewohnt, und in den Kneipen am Potsdamer Platz kungeln Politiker mit Journalisten. Auch die Infrastruktur ist auf Hauptstadtniveau gebracht. Der schrammelige Flughafen Tempelhof ist entsorgt und gegen einen Freizeitpark ausgetauscht worden, auf dem Lehrter Bahnhof rauschen die ICEs aus Frankfurt an. Das Beste: Vom Zentralgebäude der Macht, dem Alsenblock, braucht man mit dem Auto keine Viertelstunde mehr bis ins entspannte Kreuzberg.

Hallo, nahe Zukunft: In Horst Ehmkes Politthriller „Global Players“ ist die Berliner Republik fertig eingerichtet. Alles prima, genau wie man es sich vorgestellt hatte. Bis auf die Regierung vielleicht: Die Koalition Rot-Grün ist in dieser Zukunft bereits Vergangenheit, es regiert Rot-Schwarz. Wie das ist, weiß der Autor aus eigener Erfahrung. 1967 war Horst Ehmke Staatssekretär der Großen Koalition. Überhaupt kennt er sich aus im politischen Geschäft. Er war Minister für Justiz, für Forschung und Technologie, für Post- und Fernmeldewesen und obendrein in Willy Brandts Kanzleramt.

Ehmke ist sicherlich der erste Postminister a.D., der einen Kriminalroman verfaßt hat. Das klingt nach einem ungewöhnlichen Karrieresprung, ist aber eigentlich naheliegend. Schließlich ist Politik immer schon ein Krimi – warum würde man sonst auch jeden Morgen wieder die Zeitung aufschlagen. Gute Suspense-Effekte sind garantiert, besonders dann, wenn es zu einer sogenannten Affäre kommt – egal ob es um Barschels, um Dienstwagen oder, jüngstes Beispiel, um den Mordverdacht gegen einen Ex-CDU-Schatzmeister geht. Ständig tauchen neue Verdächtige auf, jeder hat ein Motiv, keiner will es gewesen sein, verräterisch schimmert zwischen Institutionen, Verfahren und vorgefertigten Reden das Böse hervor.

Ehmkes „Global Players“ beginnt gleich mit einem richtig bösen Knall. Nachdem der Innenminister es tatsächlich in weniger als fünfzehn Minuten von seinem Büro im Alsenblock zu seiner Kreuzberger Lieblingskneipe geschafft hat, zündet eine unbekannte Attentäterin eine Bombe. Sein Freund und Mitarbeiter, der Staatssekretär Karl Stockmann macht die Aufklärung des Mord- anschlags zur Chefsache und regelt – Machiavelli läßt grüßen – ganz nebenbei auch die Nachfolge: Stockmann wird befördert. BKA und BND, Interpol und der neue Innenminister persönlich beginnen zu ermitteln. Es geht um die Global Players des organisierten Verbrechens, um Geldwäsche und russische Atomschmuggler und um Querverbindungen zum Filz der Berliner Republik. Das alles hübsch detailgetreu: Man merkt, daß der Autor nicht nur Zeitungsleser ist, sondern schon das eine oder andere Ministerium von innen gesehen hat.

Auch wenn es stilistisch etwas holpert – das literarische Debüt des ehemaligen Postministers liest sich spannend und entspannt. Mehr noch: „Global Players“ ist ein ausgewachsener und gut recherchierter Politthriller, und so etwas ist selten in Deutschland. Was in den siebziger Jahren im weitesten Sinn als „politischer Krimi“ vor allem in Rowohlts „rororo thriller“-Reihe entstand, war erst einmal ironisch: Autoren wie der Soziologieprofessor Horst Bosetzky alias „-ky“ spöttelten sich im Geist der enttäuschten 68er durch das Soziotop BRD. Dabei machte man sich meist lieber über Jammergestalten der Lokalpolitik lustig, als sich an den Akteuren der großen Politik die Finger zu verbrennen. In Folge besetzten die Krimiautoren dann Politikfelder, während sie die Politik im engeren Sinne außen vor ließen. Es wurden Wirtschaftskrimis geschrieben, Frauenkrimis, Umweltkrimis. Und der Filz dabei meist nur angerissen, aber nicht von seiten der Akteure aufgerollt: Wirklichkeit ja – aber bitte von unten.

Letztes Produkt aus dem Politikfeldlabor: der Euro-Krimi. So einen hat gerade Rainer Aumund geschrieben. „Der Putsch“ wird aus der Sicht des naiven Zufallsermittlers erzählt: Ein Jurastudent deckt als Praktikant bei der EU- Kommission in Brüssel eine absurde Verschwörung auf. Eine konspirative Gruppe von EU-Mitarbeitern will endlich Ernst machen mit dem Projekt „der europäische Staat“ und plant den militärischen Putsch: Integration jetzt. „Der Putsch“ will unbedingt noch krimineller sein, als es die Wirklichkeit eh schon ist, und ist darum einfach noch einer der Politthriller, die „von unten“ erzählt werden: gegen die abgekoppelte Bürokratieebene der verwalteten Demokratie und ihre korrupten Akteure – ohne sich wirklich an deren Perspektive heranzutrauen.

Zum Schluß: So kurz vor der Wahl wäre es natürlich unverantwortlich, nicht auch die Kanzlerfrage zu stellen. Horst Ehmke hat sich aus den amerikanischen Spielfilmen den Trick abgeschaut, seinen Kanzler als Anonymus „ohne Gesicht“ zu porträtieren: „Sein unwiderstehliches Charisma lag sicher nicht in seinem Äußeren begründet, und nur in herausragenden Fernsehreportagen konnte die Kamera etwas von seiner Lebendigkeit und seinem eisernen Willen einfangen.“ Schnöder oder Schartig, man kann sich aussuchen, was einen in den kommenden Jahren erwartet.

Das ist ähnlich ergebnisoffen wie die Idee des Eichborn-Verlags, am 28. September einen „Entwicklungsroman“ in die Buchhandlungen zu geben. Der Titel wird – je nach Stimmenverteilung – entweder „Der Kanzler“ sein oder „Der Mann, der zu viel wollte“, und das letzte Kapitel wird in der Wahlnacht geschrieben. „Der Putsch“ dagegen, der genauso wie „Global Players“ in der allernächsten Zukunft spielt, will die Wahl nicht abwarten. Hier hat der Kanzler einen Namen: Helmut Kohl. Wir warten auf „Der Putsch“.

Rainer Aumund: „Der Putsch“. Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, 414 Seiten, 12,90 DM

Horst Ehmke: „Global Players“. Eichborn. Frankfurt am Main 1998, 277 Seiten, 39,80 DM

N.N.: „Der Kanzler“/„Der Mann der zuviel wollte“. Entwicklungsroman. Eichborn. Frankfurt am Main 1998, 280 Seiten, 36 DM