Gerhard Schröder aalt sich im Weißen Haus

■ Der SPD-Kanzlerkandidat hinterließ einen guten Eindruck. Seine offene Art, über private und politische Dinge zu sprechen, mögen die Amerikaner. Er verkniff es sich aber, konkret zu antworten

Washington (taz) – „Höflichkeitsfloskeln beiseite, in sieben Wochen ist der Wahlkampf vorbei, was machen Sie dann?“ So soll Bill Clinton das Gespräch mit Gerhard Schröder eröffnet haben. Am Mittwoch war der Kanzlerkandidat der SPD eine Stunde lang im Weißen Haus, was nicht heißt, daß er so lange mit dem Präsidenten geredet hat, auch wenn Schröder das behauptete.

Klar, das macht sich gut im deutschen Wahlkampf, wenn man glauben machen kann, das Gespräch habe länger als geplant gedauert. Mal gerade fünf Minuten über der anberaumten Zeit war Schröder bei Clinton. Das sogenannte „Bonding“ aber, das direkte Gespräch der Männer, habe stattgefunden. Clinton habe Schröder die Hand auf das Knie gelegt, wußte ein deutscher Begleiter zu berichten, der nicht genannt sein will. An der Gesprächsrunde nahmen auf amerikanischer Seite noch der Vizepräsident und der nationale Sicherheitsberater teil. Dies spricht für die Bedeutung, die das Weiße Haus dem Besuch des Kanzlerkandidaten beimißt. „Die hatten eine Liste, die sie Punkt für Punkt durchgegangen sind: Asienkrise, Bosnien, Kosovo, Türkei“, sagte Günther Verheugen. Der vielbesungene dritte Weg, der wirtschaftliche Dynamik mit sozialer Gerechtigkeit verbinden soll, und eine mögliche internationale Achse zwischen Blair, Schröder und Clinton spielte, gegenüber diesen harten politischen Themen eine untergeordnete Rolle. Über den Wahlkampf in Deutschland sei nicht geredet worden, „die lesen selbst die Umfrageergebnisse und wissen bestens Bescheid“, so Verheugen. Die amerikanische Regierung, so sehen es hiesige Deutschlandexperten, hat Kohl aufgegeben und rechnet mit Schröder als neuem Kanzler.

Wie nicht anders zu erwarten fand Schröder „viele Übereinstimmungen zwischen unseren Positionen“. Derlei Feststellungen gehören ebenso zu solchen Begegnungen, wie die Versicherung Schröders, dieser Besuch habe nichts mit dem deutschen Wahlkampf zu tun. Auftritte vor der Kulisse des Weißen Hauses sind natürlich genau dies: Bestandteil des Wahlkampfes. Das amerikanische Publikum zeigte an dem Besuch ungewöhnlich großes Interesse. Allein 20 amerikanische Sender bauten ihre Kameras auf – mehr als sich in letzter Zeit bei Kanzlerbesuchen einfanden. Die großen Blätter hatten Tage vor dem Besuch lange Artikel geschrieben über den „charismatischen Herausforderer Kohls“, über seine unorthodoxe Wahl von Ministern und über seine für einen amerikanischen Politiker eher verhängnisvolle Vorliebe für dicke Zigarren. „Schröder ist keiner, der sich verschämt in einen Hauseingang drücken würde“, schrieben Philadelphia Enquirer und Detroit Free Press fast gleichlautend, womit sie darauf anspielten, daß amerikanische Raucher draußen vor der Tür qualmen.

Auch sonst versteckte sich Schröder nicht. „Als ich noch die Revolution plante“, nannte er seine Zeit als Juso. Undenkbar für einen amerikanischen Politiker, unwählbar einer, der je von sich sagen würde, er sei Marxist gewesen. Was immer Schröder von Clinton lernen kann – umgekehrt könnte Clinton den offensiven Umgang mit allem lernen, was dem Gegner Gelegenheit für Anfeindungen gibt. Egal, ob es sich dabei um die politische oder persönliche Vergangenheit handelt.

Abends, spät an der Bar im Watergate Hotel, säuselte Schröder vor aller Welt per Handy mit seiner Frau. Doris Schröder-Köpf feierte Geburtstag. Es wäre gegen seine Art gewesen, die vierte Ehefrau zu verstecken, um derentwillen er sich von der dritten scheiden ließ. Auch das undenkbar für einen amerikanischen Politiker, wie die amerikanische Presse halb staunend, halb bewundernd feststellt.

Auch wenn Schröder und Clinton harmonisch schienen, der amerikanische Präsident scheute sich nicht, dem Deutschen zu widersprechen. Clintons Kritik an der deutschen Politik gegenüber den Bosnienflüchtlingen ließ Schröder nicht gelten und nahm Kohl in Schutz: „Wir haben 350.000 Flüchtlinge aufgenommen, mehr als jedes andere Land, abgeschoben nur 2.000, darunter etliche, die straffällig geworden waren.“ Und auch wenn die USA gern eine engere Bindung der Türkei an Europa und die westliche Allianz sähen, wich Schröder nicht davon ab, daß die Türkei kein Aufnahmekandidat für die EU sei – nach heutigen Kriterien käme das Land nicht einmal in die Nato. Vage blieb Schröders Antwort auf die Frage, was Deutschland von Amerika lernen könne. Die amerikanische Dynamik halt, Modelle aber könne man nicht einfach übertragen. Auf die Frage, was Deutschland aus den radikalen Umgestaltungsplänen lernen könnte, die in den USA für Kranken- und Rentenversicherung diskutiert werden, gestand der Kanzlerkandiat freimütig ein, daß er von den Vorstellungen, die hier in Umlauf sind, keine Ahnung hat. Macht nichts, die Amerikaner blicken auch nicht in allen deutschen Belangen durch. Peter Tautfest