Hüftschwung für den Allmächtigen

Kirche muß nicht öd und fad sein: Wenn die „African Christian Church“ in der Gnadenkirche ihre Schäflein versammelt, wird zum Altar geswingt. Eine Reportage  ■ von Silke Mertins

Alex Afram ist ein kleiner Mann mit großer Ehrfurcht vor dem lieben Gott. Mit andächtiger Miene streicht sich der Pastor der „African Christian Church Hamburg“ über das weiße Gewand und tritt vor die sonntägliche Gemeinde. Feierlich herausgeputzt sitzen seine Schäflein bereits auf den Bänken der Gnadenkirche. Die Frauen in schicken Kostümen oder Kleidern aus bunten Druckstoffen, die Männer in frisch gebügelten Hemden. Dazwischen zappelt der Nachwuchs in spitzenbesetzten Prinzessinnenkleidchen und Lackschuhen.

„Wir kommen jetzt zur ersten Bibellesung“, sagt Alex Afram. Seine leise Stimme wird durch ein Mikrophon verstärkt. Er lobpreist den Allmächtigen und beginnt, das Wort Gottes zu verkünden. Ein in eine bonbonrosa Decke gehülltes Baby schnarcht alsbald friedlich, und auch der Mutter werden die Lider schwer. „Ist jemand unter uns, der ein Lied für Jesus Christus, unseren Herrn, singen will?“ fragt der Pastor schließlich. Es ist jemand unter uns, und der ziert sich nicht lang. „By the power of God“, schallt es durch die Kirche. Es wird zu Rasseln, E-Gitarre und Trommeln gegriffen. Die schläfrige Atmosphäre ist verschwunden. Man läßt sich zu Halleluja- und Amen-Rufen hinreißen. Niemanden hält es mehr auf den Bänken. Auch das ältere deutsche Ehepaar, das an diesem Sonntag bei der afrikanischen Gemeinde zu Gast ist, klatscht engagiert mit. Die ersten swingen zum Altar, um mit Inbrunst und Hüftschwung dem Herrn zu gefallen.

Als man die Plätze wieder eingenommen hat, ist der Auftritt für Gemeindemitglied Lewis Davis gekommen. Er hat Bekanntmachungen vorzutragen. In der vergangenen Nacht habe es ein „All night“ gegeben – Beten bis zum Morgengrauen. Leider seien wohl viele verhindert gewesen, rügt Davis. Außerdem möchte er „Sister Ama“ und „Brother Kofi“, beide zum ersten Mal hier, herzlich willkommen heißen. Die Gemeinde applaudiert. Davis will doch sehr hoffen, daß es bei dem einen Besuch nicht bleibt.

Pastor Alex Afram ist wieder dran. Nach einigen Sätzen wechselt der 52jährige vom Englischen ins Twi, der wichtigsten Landessprache Ghanas. Denn die ökumenische „African Christian Church“, die unter dem Dach der Nordelbischen Kirche agiert, besteht fast ausschließlich aus Ghanaern. Und in dem westafrikanischen Land ist es Tradition, daß die teilweise bis zu vier Stunden dauernden Gottesdienste bei nahezu allen protestantischen Kirchen – hauptsächlich Methodisten, Baptisten, Presbyterianer – zur Hälfte in der Missionars- und zur anderen in der einheimischen Sprache abgehalten werden. In den vielen, oft winzigen afrikanischen Freikirchen, die blumige Namen wie „Shepherd looking for the lost sheep Church“ tragen, wird meist ausschließlich in einer der Landessprachen gepredigt. Die Bibel ist oft sogar das einzige schriftliche Dokument, das in kleineren Sprachen existiert.

Die Nutzung dieser komplizierten Tonsprachen – in denen der Ton für Wort- und grammatikalische Bedeutung entscheidend ist – für christliche Zwecke brachte so manche Schwierigkeit mit sich. Nicht nur verändern die Worte ihre Bedeutung, wenn man sie singt und womöglich mit dem falschen Ton unterlegt hat – was die Gemeinden seinerzeit ungemein erheiterte. Darüber hinaus soll sich mancher Missionar darum bemüht haben, das Wort für Schlange auch dann als weibliches Substantiv in der Schöpfungsgeschichte festzuschreiben, wenn es eigentlich männlich ist, was nicht minder amüsierte und noch heute gern erzählt wird.

Pastor Alex Afram hat diese Probleme freilich nicht. Seine Muttersprache Twi ist eine von vielen Millionen Ghanaern gesprochene Sprache, in der es neben Gottes Botschaft auch Literatur, Schulbücher und Zeitungen gibt. Überhaupt ist zu Hause manches schöner. Vor allem die Gottesdienste. Ein bißchen langweilig, gesteht Afram, finde er den deutschen Kirchgang schon. Der Pastor mache ja alles alleine. Vielleicht sei langweilig aber nicht der richtige Ausdruck. „Anders“ sei die Art, in der hiesige Christen dem Herrn dienten. Und das seien die Afrikaner nun mal nicht gewohnt und kämen deshalb zu ihm.

Allerdings nicht alle. Zu Aframs Kummer haben sich mittlerweile viele kleine afrikanische Gemeinden in Hamburg gegründet: keine ökumenischen wie seine, sondern beispielsweise Gruppen afrikanischer Baptisten oder Presbyterianer, die bei ihren Hamburger Brüdern und Schwestern derselben Glaubensrichtung Unterschlupf gefunden haben und dort nun auch Gott dienen. „Aber ich finde es hier besser“, sagt Akomeah Wiredu (45). Er ist seit 1990 Mitglied und schätzt „die spezielle Atmosphäre“ der kleinen, kuscheligen Gemeinde in der Gnadenkirche.

„Praise the Lord“, wird gerufen, und die E-Gitarre dröhnt los. Der männliche Part des deutschen Ehepaares steht auf. Er ist heute Gastprediger. Der Mensch, warnt der Weiße, stammt nicht vom Affen ab. Nein, er ist nach Gottes Vorbild geschaffen. Es folgt ein längliches Referat über den Teufel. Und Jesus ist eine der Säulen des christlichen Glaubens. Wer hätte das gedacht? Auf den Kirchenbänken ist es ruhig geworden. Die monotone Stimme und das angenehme Dämmerlicht verführen zum Nickerchen. Eine kleine Prinzessin seufzt abgrundtief. Ihr Bruder will trommeln und heult, weil er nicht darf, laut los.

„Halleluja“, ruft jemand. Die Predigt ist vorbei. Rhythmische Musik leitet nun ein allmonatliches Ritual ein: die Kollekte der konkurrierenden Wochentage. Vor dem Altar läßt der Pastor einen Tisch mit einem silbernen Topf aufstellen. Alle, die am Sonntag geboren sind und deshalb Akosua (weiblich) oder Kwesi (männlich) heißen, tänzeln nach vorn und entrichten ihren Obolus. Dann folgen die Montaggeborenen und der Rest der Woche. Jede Summe wird, getrennt nach Wochentagen, gezählt und peinlich genau aufgelistet. In Ghana steht an dieser Stelle meist kein dezenter Topf. Da der Pastor dort aus den Spenden bezahlt wird, muß das Geld unter seinen Argusaugen auf ein Tablett gelegt werden.

Gespannt erwartet die Gemeinde das Ergebnis der Auszählung. Welcher Wochentag hat gewonnen? 270 Mark und 16 Pfennige sind zusammengekommen. The Winner is: Dienstag. Applaus. Doch nichts für ungut. Vor Gott sind alle gleich. Zum Abschluß wird die Gemeinde zum „Shake hands“ aufgefordert. Der Gottesdienst ist vorbei. „Praise the Lord.“