Zerren und Zurren am Ozeanriesen

■ Der Schlepper ist der Hubschrauber unter den Wasserfahrzeugen: wendig und bärenstark / Von ferne droht der ungehemmte Kapitalismus im Schlepperwesen, aber noch zeugt das Leben auf Bremerhavens „Blumenthal“ von einer fast sorglosen Heiterkeit

Wind ist immer gut“, sagt der Kapitän. Thorsten Korten meint das ernst. Was dem een sin Uhl, is dem andern sin Nachtigall. Der Kapitän auf dem dreißig Meter breiten Auto-Carrier vis à vis zumindest hat da wohl eine andere Meinung. Der segelt ganz schön bei dem Wind. Bei einer tüchtigen Brise mag der Schlepper „Blumenthal“ zwar ziemlich ins Schaukeln geraten, Aug in Aug mit dem Pötten aus Übersee – doch man darf sich nicht täuschen: Bei schlechtem Wetter hat hier vor der Stromkaje am äußersten Zipfel der Weser noch immer der David das letzte Wort. Und die Verantwortung für den tumben Goli-ath: Denn wenn die ersten Trosse geworfen sind, der erste Kontakt zwischen Schlepper und Auto-Carrier da ist, läuft alles auf Kommando von Schlepper-Kapitän Thorsten Korten. Wenn der den Ozean-Riesen mit seinen 6.000 PKWs an Bord mit dem Heck zuerst gegen die Spundwand donnern läßt, reiben sich die Japaner bedauernd die Hände: Zahlen darf dann die Unterweser-Reederei für das Malheur ihres Käpt'n.

Doch Thorsten Korten macht nicht den Eindruck, als würde ihm das schlaflose Nächte bereiten. Eher schon mal die Zukunft des Schlepper-Geschäfts. Denn im Container-Zeitalter schreitet nicht nur die Logistik voran, die optimale Ausnutzung des Schiffs-Inneren. Auch in der Antriebstechnik bleiben die Frachterkonstrukteure nicht stehen – und da haben sich ihre Ingenieure bei den High-tech-Gefährten im Schlep-perdienst so einiges abgucken können. Heute haben auch 350 Meter lange Containerschiffe schon ihre Querschrauben und können sich mit ein paar Handbewegungen des Hochsee-Kapitäns sanft seitlich an die Kajen schmiegen. Ganz ohne Schlepper. Aber „zum Glück nur bei gutem Wetter“, grinst Kapitän Korten. Denn wenn erst die Nordwestwinde wieder über Bremerhaven weggehen, dann – spätestens – rufen die Weitgereisten doch lieber rüber und bitten die Einsatzzentrale der Schlepper-Reedereien um Hilfe.

Am „Affenhafen“, gleich neben dem Zoo, wirft dann die „Blumen-thal“ ihre zwei 1.400-PS-Motoren an und tuckert die drei Kilometer rüber zum Ende der Columbus-Kaje, um den Dicken beim An- oder Ablegen zu helfen. Die „Blumenthal“. Oder es kann auch mal die moderne „Bremerhaven“ sein, vielleicht auch beide zusammen, und wenn's richtig dicke kommt, ist man sogar zu dritt am Zerren und Zurren, um die Ozean-Kolosse auf Linie zu bringen. 24 Schlepper sind zur Zeit in Bremerhaven aktiv, 13 von ihnen gehören zur Unterweser-Reederei (URAG), die sich im Pool – „in Arbeitsgemeinschaft“, sagt der URAG-Geschäftsführungs-Vorsitzende Michael Schroif – mit der T & S Transport und Service und der kleinen Mitgat aus Nordenham das Geschäft brüderlich teilen. Seit dreißig Jahren ist das so, sagt Schroif: „Oder länger“. Die Tarife für die Mitarbeiter handelt man gemeinsam bei der ÖTV aus, die Tarife fürs Schleppen mit den Übersee-Reedereien. Das geht nach BRZ, nach Bruttoraumzahl. Für das Schleppen und Durchschleusen eines mittelgroßen Auto-Carriers von 45.000 BRZ kommen da, rein und raus, bei sechs bis acht Stunden Arbeit immerhin 25.000 Mark zusammen.

Ob diese Preise stabil sind, das steht zur Zeit in den Sternen. Und obwohl die Schlepper der T & S alle unter Namen wie „Saturn“, „Pollux“ oder „Stier“ unterwegs sind, weiß man auch hier nicht, was das Jahr 19999 bringen wird. Dann nämlich stehen die nächsten Verhandlungen an – und die holländische Schlepper-Firma Kotug, die seit drei Jahren den ansässigen Hamburger Schlepper-Reedereien ein Fünftel des Marktanteils abknöpft, steht auch in Bremerhaven vor der Tür und hat längst schon in aller Welt bei den einschlägigen Reedern ihren Fuß dazwischen gestellt.

Noch aber funktioniert der Bremerhavener Pool. Noch darf die „Stier“ mit dicken Backen an der Rija zerren, damit die endlich ihren Hintern von der Kaje wegkriegt. Dabei sieht die Rija eigentlich gar nicht so gewaltig aus. Ein Feederschiff, vielleicht aus Polen, vielleicht auf dem Weg nach Litauen? Kapitän Korten auf seiner „Blu-menthal“, die das Manöver aus sicherer Entfernung beobachtet, weiß das so genau auch nicht. Und selbst sein Kollege auf der Stier hat jetzt wichtigeres zu tun. Ein kurzer Funkruf hoch zum Hafenlotsen an Bord der Rija: „Nach Göteborg“, so die Antwort. Na also, die Kommunikation klappt. Und auch die Rija kommt nun langsam in den Strom rein. Noch ein paar Meter Drehung, vorn hilft der Frachter mit seinem Bugstrahlruder kräftig nach, dann können die Trossen runter und ab gehts nach Göteborg. „Ein Höllengeschäft“, sagt Korten mitleidig. Die Feederschiffe sind die Zwischenträger im Container-Welthandel. Nicht ganz so lütt wie ein Brummi, der gerade mal einen von jenen tausenden von Containern, die hier an der Columbus-Kaje warten, quer durch Europa gondelt. Bis zu eintausend Container können auch die größeren Feeder schon buckeln. Nur fix muß es gehen. Der Frachtschiffverkehr – gerade im Zwischenbereich rund um die europäischen Küsten, ist fast schon Linienverkehr. Jede Minute an der Pier kostet. Und auch das Gemeinschaftsleben an Bord läßt zu wünschen übrig. Einen der letzten deutschen Feeder-Kapitäne kennt Korten noch: „Der schließt sich nachts immer ein.“

Auf der „Blumenthal“ hingegen schließt sich bestimmt keiner ein. Das Schlepper-Gewerbe ist noch fest in deutscher und ÖTV-Hand. Die dreiköpfige Crew ist seit Jahren zusammen. Kapitän Thorsten Korten, Maschnist Peter Scheikowski und Matrose Günter Löwe. Tag und Nacht in Schichten von 72-Stunden. Drei Tage hintereinander an Bord, oft nur mit zwei, drei Stunden Schlaf zwischen den Einsätzen. Doch die Besatzung der „Blumenthal“ kollektiv, jeder für sich: „Ein guter Job“, sagt Peter Scheikowski (“Wie der Musiker – nur auf deutsch“). Auf See will er nicht mehr zurück: „Das macht doch heute keinen Spaß mehr.“ Lieber zieht sich der Schiffs-Ingenieur mit den riesigen Ohrdeckeln ins blitzblanke, höllisch tösende Innere seines Maschinenraums zurück, hinter die zwei riesigen Voith Schneider Propeller, um hier zwischen den Wartungshandgriffen von Shanghai zu träumen. „Damals blieb man ja noch tagelang an an Land, konnte schön einkaufen gehen.“ Damals! So alt sieht der Mann in dem orangenen Overall gar nicht aus. Vierzig vielleicht, fünfundvierzig, wenns hoch kommt. Doch eine Zeit lang hat Scheikowski das noch mitgemacht. „Auf einem Bananjäger“ aus Guatemala. Immer hin, zurück, hin, zurück über die Weltmeere. Dann reichte es.

Es gibt mehr Anwärter auf seinen Job als es Jobs gibt. Und: Wer auf dem Schlepper mal anfängt, der bleibt. „Leute mit 25jährigem Jubiläum – das sind bei uns eher die Jüngeren“, sagt Reiner Schumacher, der Personalchef von der Unterweser-Reederei. „Das hier ist doch sogar noch besser als eine Landstellung.“ Nicht zuletzt, weil das Landleben überwiegt. Nach der 72stündigen Schicht gibt es sechs freie Tage. Das ist der Rhythmus – da kann man sich dran gewöhnen, findet die Crew. Und das Leben an Bord könnte schlechter sein. Es ist ja auch nicht immer nur die Schlepperei an den Kajen, mit der man die Tage verbringt. Auch Offshore ist einiges an Arbeit zu tun: Mal eine Bohrinsel verrücken. Mal Kabel legen. Mal havarierte Schiffe an Land zurückholen. Vielfältige Jobs auf einer überschaubaren Maschine, die einige Sorgfalt verlangt. Immerhin haben die drei auf der Blumenthal einen Wert von über 12 Millionen Mark unter den Fußsohlen. „So ein Schlepper“, sagt Michael Schroif, der Geschäftsführer, „der ist das Gegenteil eines Frachtschiffs“: Statt „viel Blech und wenig Innereien“ spannt sich hier die rundverzinkte Schiffshülle um eine robuste Hightech-Anlage: Der Schlepper, das ist der Hubschrauber der Gewässer. Doch jetzt macht die Blumenthal-Crew erstmal Mittagspause. Der nächste Containerdampfer ist erst für 13.35 Uhr angesagt. Fritz v. Klinggräff