Alles ist gut – selbst Kartoffelsalat

■ Roth, Cage und die anderen: Die Weserburg zeigt interaktive Bücher des New Yorker Fluxus-Verlags „Something Else Press“

„Wusten Sie schon, daß alles Gedruckte gut ist.“ Obwohl dieser Satz sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtschreibregelung ein sogenanntes S-Debakel höchster Ordnung darstellt, ist er – inhaltlich auf die taz bezogen – einwandfrei richtig. Doch Di(e)ter Roth, Schöpfer des guten Satzes, beansprucht für ihn allgemeine Gültigkeit. Beanspruchte. Denn vor zwei Monaten ist dieser radikal-tolerante Fluxus-Veteran gestorben. Einige unvermeidlich gute – da gedruckten – Publikationen von ihm schlafen derzeit in diversen Vitrinen eines Durchgangsgeschosses zwischen 3. und 4. Etage der Weserburg. Dort hat Guy Schraenen sämtliche Bücher des wichtigen New Yorker Fluxus-Verlags „Something Else Press“ ausgestellt: neben Roth Wolf Vostell, John Cage, Emmett Williams, Gertrude Stein und Reprints von Dada-Anthologien. Besonders entzückt das streichholzschachtelgroße, fliegengewichtige, himmelblaue Opus „Summerpoem“. Dessen Inhalt soll hier vollständig wiedergeben werden. Er besteht aus den Worten “sail“ und – eine Seite weiter – „boat“. Deutlich gewichtiger ist ein 729-Seiten-Schinken, der nicht mehr und nicht weniger als 1.000 Pilze akribisch beschreibt. Für Liebhaber – wie alles hier.

Verlagsleiter und Künstler Dick Higgins atmete offensichtlich denselben daseinsbejahenden Geist wie Roth. „Der Mist, den einer macht, ist genauso wertvoll wie das gute“, schrieb er – und veröffentlichte in seinem eigenen Werk „Jeffersons Birthday“ alle Textschnipsel, die aus ihm herausquollen im Zeitraum zwischen 13.4.1962 und 13.4.1963. Genau, der 13.4. ist Jeffersons Geburtstag. Die wilde Collage enthält diverse Musikstücke im Geiste John Cages, die niemals erklingen werden und nur in ein paar dürren Worten existieren. Daneben gibt es Gedichte zu Ehren Georg Maciunas und anderer Fluxus-Kollegen: Die Werke und die verschiedenen Verlage der Szene waren miteinander vernetzt. Und weil das Konzept immer wichtiger ist als die Realisierung, gibt es auch ein „Libretto“, das großzügig auf seine Vollendung zur Oper verzichtet. Von einer anderen kleinen Broschüre lacht Higgins schief aber wonneproppig herunter. Sie heißt „Bio/Bibliographie“: Da identifiziert sich einer voll und ganz mit seiner künstlerischen Arbeit; schließlich ist sie prall und konfus wie das Leben.

Das Collagenprinzip in der Literatur kennt man gemeinhin von den deutschen Expressionisten, vor allem aber von William Burroughs. Der „Erfinder“ von Burroughs „Cut ups“ heißt aber Brian Gysin. Von ihm sind in der Weserburg neurotisch-geduldige Permutationsspielereien zu sehen, wie sie von Gomringer oder Jandl stammen könnten: „Am I that I am / I am am I that / That I am I am.....“ Der Jazzsaxophonist Steve Lacy soll, erzählt Guy Schraenen, von dieser Methode so beeindruckt gewesen sein, daß er sie auf die Musik übertrug. Statt einzelner Worte routieren bei ihm eben kleine Melodiebausteine endlos umeinander.

In vielen Büchern finden sich Beispiele früher Interaktivität; quasi prähistorisch – und lustig. „Kannst Du dein Leben ändern, wenn Du diese Seite umblätterst?“, fragt ein Buch – um dann prompt auf der nächsten Seite weiter psychozutesten: „Was kannst Du mir erzählen über gestern?“ Ist das nicht viel schöner als mit Internet-High-tech zu palavern? Eine andere Publikation ermuntert den Leser, sein Leserattendasein zu verlassen: „Bitte schließe dieses Buch und finde heraus, was das kleinste Ding in deiner Wohnung ist.“ Bewußtseinserweiterung wird gesucht in ganz allerwinzigsten Aktionen – und in allergrößten Themen: „Du! Suche Deinen Stolz“. Oder sie schulen gezielt die Sensibilität des Lesers: „Stelle Dir die Frabe Orange vor. Stelle Dir den Geruch von goldenem Fisch vor ...“

Hart auf den Leib rücken die Künstler dem Buchhalter. Dafür geizen sie nicht mit Aussagen über ihre Lebensumstände. Folgende „Wahre Geschichte“ wurde zum Beispiel „verfaßt während des Verspeisens von Kartoffelsalat“: „Ring – Hello – Hello. This is Isabelle. How are you? – Asleep. – Goodbye – Goodbye.“

Ein humoriges Völkchen treibt hier seine Spielereien. Doch nicht nur zur Gaudi. Es geht um etwas. Verkarstete Verhältnisse müssen aufgerissen werden: durch Skurilität, aber auch mit Schere und Kleber. In einer Fotomontage pflanzt Wolf Vostell der Berliner Nationalgalerie einen gigantomanischen Küchenmixer aufs Dach. Dazu Higgins: „Die Architektur ist die einzige Kunst, die in ihrem primitiven Zustand verharrt.“ Und die primitiven Zustände gilt es zu beseitigen. Durch das Spiel. Das meinte schon Schiller in seiner „Ästhetischen Erziehung“. Barbara Kern

Die Ausstellung hält die Bücher unter Glasverschluß. Sie ist deshalb bestenfalls ein Anreiz, um darin zu schmökern. Das geht ab Ausstellungsende (25.10.) nach Voranmeldung Tel.: 5983925