Der Müllberg als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

■ Viele Obdachlose bestreiten ihren Lebensunterhalt aus dem Müll. Nicht selten sichert er die nackte Existenz. Eine goldene Nase verdienen sich an der Müllgesellschaft aber nur die großen Unternehmen

Der Müllberg wächst und wächst. Jahr für Jahr produziert der Bürger unaufhaltsam seinen kleinen privaten Müllhaufen – insgesamt rund zwei Millionen Tonnen Müll sind 1997 in Berlin angefallen. Zwei Millionen Tonnen, die irgendwie entsorgt werden wollen. Damit lassen sich Geschäfte machen – im kleinen wie im großen Stil.

Achtlos weggeworfene Glasflaschen oder für unnütz befundene Wasserhähne verlangen geradezu nach jemandem, der solche Dinge noch zu schätzen weiß. „Stellen Sie einfach mal ein paar Pfandflaschen auf die Straße“, empfiehlt Bernd Braun vom Verein „Motz & Co“, „die stehen dort nicht lange.“ Pfandflaschen bilden für Menschen, die „ganz unten“ sind, eine Haupteinnahmequelle. Sie kann zumindest die Existenz sichern.

Scheinbar unbrauchbare Alufelgen, Töpfe und Besteck können ebenso lebenswichtige Hilfe bieten. Pro Kilo können damit bei Schrotthalden – je nach Tageskurs – bis zu 1,50 Mark erzielt werden. Dabei entwickeln die zum größten Teil obdachlosen Anbieter durchaus auch geschäftliches Gespür. „Wenn der Tageskurs für Aluminium nicht gut steht, dann warten die eben noch ein paar Tage“, erzählt ein Schrotthändler. Hauptfundstelle der verwertbaren Gegenstände sind meist Privatmülleimer auf Hinterhöfen.

Die Anzahl derjenigen, die den Müll als existenzsicherndes Geschäft für sich entdeckt haben, ist nur in vorsichtigen Schätzungen zu erfassen. Die Sozialverwaltung kann in dieser Hinsicht nicht mit offiziellen Zahlen aufwarten, da diese Tätigkeit nicht meldepflichtig ist.

Schwer zu beantworten ist die Frage nach der Dimension der Müllgeschäfte, weil die Müllsuchenden ungern ihre Berufsgeheimnisse verraten. „Sie fürchten die Konkurrenz, wenn sie erst einmal eine Marktlücke gefunden haben“, erklärt Jürgen Mark, Leiter der Notunterkunft Franklinstraße. Lothar Markwardt von der Notunterkunft, die der Verein „Motz & Co.“ betreibt, kann aus seinem Erfahrungsschatz schon konkretere Werte nennen. „Irgendwo hat wohl jeder, der mal ganz abgerutscht ist, Müll gesammelt und verkauft.“ Dabei ist diese Art des Geldverdienens wirklich die allerletzte Chance, um zu überleben.

Rund 10.000 Obdachlose zählt die Statistik der Sozialverwaltung, doch Markwardt hält die Zahlen für schöngeredet. Er geht statt dessen von rund 40.000 Obdachlosen aus. Nach seiner Erfahrung bezieht wegen Angst vor Strafverfahren oder erniedrigenden Prozeduren nur jeder zweite von ihnen Sozialhilfe. Unter diesen „Härtefällen“ gibt es nach Einschätzung Markwardts „Tausende, die diesen Job machen“.

Auf der anderen Seite des Müllberges stehen die zahlreichen Recyclinganlagen und Entsorgungsunternehmen. Professionell gehandelt, kann Müll eine lukrative Einnahmequelle sein. „Die Müllbranche boomt“, bestätigt auch Marcus Hirschberg, Pressereferent der Systementsorgungsgesellschaft DASS. Seit 1990 ist jedes Unternehmen für die Entsorgung seiner Verpackungen verantwortlich. „Dadurch kam es zu einem großen Bedarf an der Aufbereitung von Kunststoff“, erklärt Achim Struchholz, Sprecher des Dualen Systems Deutschland. „Da ist eine große Marktlücke aufgerissen.“ Jahr für Jahr produziert die Gesellschaft Millionen Tonnen von Müll.

Einer der großen Gewinner bei der Verwandlung von Müll in bares Geld ist auch die Entsorgungsfirma Sero AG. Sie konnte 1996 mit der Entsorgung und dem Recycling von Reststoffen 11,9 Millionen Mark Gewinn und damit ein Plus von 57 Prozent gegenüber dem Vorjahr einfahren. Corinna Budras