Herrenmenschen im Frühtau zu Berge

Der Deutsche Alpenverein arbeitet in „Alpinismus und Hitlerzeit“ seine Naziverstrickung auf. Statt kritischer Auseinandersetzung ist ein emotionsloser Rechenschaftsbericht entstanden. Sympathischer machen Beschwichtigungsformeln den DAV nicht  ■ Von Christel Burghoff

Die Jugend wollte wissen, was los war. 1996 stellte sich der Jugendreferent des Deutschen Alpenvereins (DAV) auf den Standpunkt, daß man ihr die Aufklärung über die Verwicklungen des Vereins mit dem Nationalsozialismus schuldig sei. Und Helmuth Zebhauser, der langjährige Kulturbeauftragte, wird sich in seiner Arbeit bestätigt gefühlt haben. Für das DAV-Museum auf der Münchener Praterinsel rollte er die politische Funktion des Vereins auf. Nun legt er das Buch „Alpinismus im Hitlerstaat“ vor.

Der Jugend wird einiges geboten. Zebhauser geht drei Wege: Historisch-essayistisch behandelt er die Stimmungslage der Bergbewegten, im organisatorischen Teil thematisiert er die Aktivitäten und Absichten der verantwortlichen Funktionäre während der Vorkriegs- und Nachkriegszeit. Zuletzt präsentiert er die einschlägigen verbandsinternen Dokumente. Das Buch gibt ein dichtes Bild aus Mentalität und Taten. Und das rückblickend bis zur Jahrhundertwende, als es so richtig losging mit Germanenschwärmerei und Antisemitismus, Naturmystizismus und Freiheitsdrang der Jugendbewegten, Heimatliebe und Intellektuellenfeindlichkeit, der Suche nach dem echtem Leben.

Zebhauser nutzt Zeitzeugen wie Thomas Mann und die Arbeiten von Wissenschaftlern wie Rüdiger Safranski, Jost Hermand und Peter Reichel. Sie liefern den Rahmen, in dem er den organisierten Alpinismus verortet: als einen Verein wie viele andere, etwa den Turnern, Schützen, den klampfenden und singenden Wandervögeln, alles Vereine, die für Zebhauser die Gemengelage der Nation widerspiegeln. Spannend wird es nach dem Ersten Weltkrieg: Gerade unter den Alpinisten verstärken sich paramilitärische Haltungen. Bergsteigen wird als ein „bescheidener Ersatz für die durch die Friedensverträge unmöglich gemachte allgemeine Wehrpflicht“ angesehen. Sportverbände gelten mehr und mehr als „Keimzellen für den nationalen Wiederaufstieg“. Funktionäre klopfen große Sprüche vom „Volkskörper“, der „ertüchtigt“ werden muß. Am Berg machen sich Männerbünde stark, den „kämpfenden Gegner“ Berg zu bezwingen.

Soliden Funktionären geht der Antisemitismus der Antreiber auf die Nerven, sie haben einfach nur den großen Spaß am Berg vor Augen und glauben, per Satzung „unpolitisch“ bleiben zu können. Zebhauser rekonstruiert Auseinandersetzungen zwischen rassistischen Antreibern und widerständigen Bergfans. Und man merkt: Nur um schön erzählte Geschichte geht es dem Autor denn doch nicht. Den „vorauseilenden Gehorsam“, den außenstehende Forscher dem DAV ankreiden, will Zebhauser nicht akzeptieren. Rainer Amstädter etwa interpretierte den Verein in einer vielbeachteten Studie als antisemitischen Kampfbund und „Vollstrecker des totalen Krieges“. Zebhauser gefällt dieses Image nicht. Er schreibt dagegen an: „Unsinn“, so sein Urteil. In seiner Lesart der Vereinshistorie verlief nichts gradlinig. Die unsäglichen „Arierparagraphen“ in den Satzungen verschiedener Sektionen seien historisch erklärbar. Wie bei der Sektion Brandenburg: Sie wurde im Jahre 1899 ausschließlich für „christlich getaufte, deutsche Staatsbürger“ gegründet (ihr gehörte später Herman Göhring an).

Die Würfel für den Nationalsozialismus fallen erst, als unter Hitler die „Gleichschaltung“ (Anpassung des Vereinswesens an die Parteiorganisation) angesagt ist. Da hatte man allerdings die Rassenreinheit am Berg schon perfektioniert, war im Großverband so arisch wie die Nürnberger Rassegesetze es später wollten. Andere Freunde, wie die Naturfreunde, wurden dagegen verboten.

Symphatischer wird der DAV durch das Buch nicht. Zebhauser fördert neben den verantwortlichen Nazis zahllose Opportunisten und Eskapisten zutage, die lediglich ihren persönlichen Neigungen folgten und mit ernsthaftem Widerstand nichts, aber auch gar nichts im Sinne hatten. Mit antisemitischen Antreibern wurden „Kompromisse“ geschlossen, die ihnen letztlich den Weg ebneten. So bei der „Affaire Donauland“: Diese Sektion mußte schon 1922 nach einigem Gezerre über die Klinge springen. In „Donauland“ hatten sich jüdische Bergsteiger organisiert, um antisemitischen Anfeindungen zu entgehen. Ihr Ausschluß war der Preis, mit dem bedächtige Funktionäre die Antreiber besänftigen wollten.

Die Gemengelage zu sichten, wird Zebhauser nicht leichtgefallen sein. Einige der Alten leben noch. Zebhauser selbst ist Jahrgang 1927 und durch seine bergsteigerischen Aktivitäten biographisch verwickelt. Er hätte anklagen können. Doch er schreibt eine Art emotionslosen Rechenschaftsbericht. Daß nach dem Krieg alte Seilschaften im wiedergegründeten DAV zu Amt und Würden kamen, erklärt er ganz im Einklang mit der weitverbreiteten Beschwichtigungsleier: Man habe die „Erfahrungsträger“ von einst einfach gebraucht. Dabei hat er dies nicht nötig. Er hat ja selbst analysiert, wie grundreaktionär der Verein einst war.

Nach dem Verbot durch die Alliierten (Arthur Seyß-Inquart, der „Führer des DAV“, wurde hingerichtet) machte man einfach da weiter, wo man sich unverfänglich dünkte, nämlich bei der Devise „Der Verein ist unpolitisch“. Die Folgen liegen auf der Hand: 50 Jahre Verharmlosung der Vergangenheit und Verdrängungspolitik dieser Großorganisation (mit heute 600.000 Mitgliedern). Das „besinnende Erinnern“ ihres Kulturfunktionärs kommt reichlich spät.

Helmuth Zebhauser: „Alpinismus im Hitlerstaat“. Herausgegeben vom Deutschen Alpenverein, Bergverlag Rother, München 1998, 376 Seiten, 36 DM