Drei Zinnen für ein Reich

Anton Holzers Buch „Die Bewaffnung des Auges“ schildert die tragische Geschichte der Drei Zinnen in den Dolomiten. Wie selbst Gipfelketten einst für Propagandazwecke eingesetzt wurden, ist beeindruckend. Postkartenmotive zeugen vom damaligen Zeitgeist  ■ Von Werner Trapp

Kaum ein Gebirgsmassiv der Alpen ist so sehr in den Kanon vertrauter Ansichten eingegangen wie die Drei Zinnen in den Dolomiten – jene Trias fast senkrecht abstürzender Felsengipfel, die mahnenden oder drohenden Fingern gleich in den Südtiroler Himmel ragen. Im 18. Jahrhundert noch so gut wie unbekannt, avancierten die drei Pfeiler aus Gestein nach ihrer Erstbesteigung 1859 bald zu einem der beliebtesten Ziele eines rasant wachsenden Dolomitentourismus.

Anton Holzer hat die Karriere dieser drei Zacken nachgezeichnet – die Geschichte ihrer realen Eroberung und Erschließung ebenso wie die ihrer Wahrnehmung, ihrer Stilisierung zum Denkmal und Symbol.

Wichtigste Quelle sind ihm die nach 1890 massenhaft verbreiteten fotografischen Postkartenansichten. Nur bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen diese industriell hergestellten „Ansichten“ als serielle Wiederholungen. Holzer betrachtet sie sorgfältiger, mit dem „zweiten Blick“ für versteckte Botschaften und subtile Veränderungen.

Ansichtskarten, so Holzer, müssen vor dem „Hintergrund ihres seinerzeitigen Gebrauchs“ gelesen werden – als ein „billiger, käuflicher Massenartikel, der symbolisch die Anwesenheit an der Kante einer fremden Welt“ bezeugte. Auf der anderen Seite aber eigneten sie sich durch ihre manipulativen Möglichkeiten – Perspektive, Retouche und Montage – in Verbindung mit ihrer massenhaften Verbreitung ideal für Propagandazwecke. Auf der Postkarte manifestierte sich der politische Blickwinkel, und der war in aller Regel national.

Daß sich der „Knoten im Netz der Postkartengrüße gerade am Ort der Drei Zinnen verdichtet“ hat, ist freilich kein Zufall: Das geologische Felsenwunder fungierte nämlich über zwei Jahrhunderte als „symbolischer Grenzstein“ und war als solcher stets Objekt politischer Ansprüche und Auseinandersetzungen: Schon unter Maria Theresia war hier die Grenze zwischen Tirol und der damals österreichischen Republik Venedig festgelegt worden. Als die Habsburger Venedig 1866 an Italien verloren, wurde diese zur nationalen Außengrenze. Ab 1915 verlief genau hier die Front des Ersten Weltkrieges, und als Südtirol nach dem Krieg an Italien fiel, gerieten die Drei Zinnen endgültig zum bedeutungsschwangeren „Wahrzeichen“ einer verlorenen (und untergründig wieder zurückzuholenden) „Heimat“.

Von den drei vor 1914 gebräuchlichen Postkartenperspektiven war eine, die Südansicht, schon im Ersten Weltkrieg verschwunden – sie wurde mit einem unausgesprochenen „Blickverbot“ belegt. Die Nordwand setzte sich als „herrschende Ansicht“ durch, die Vielfalt der Perspektiven schrumpfte auf eine „ideale“, die, hunderttausendfach verbreitet, künftig wie eine „Blick-Vorschrift für das richtige Sehen des Gebirges“ wirkte.

Mit dem Kriegseintritt Italiens 1915 ändert sich wiederum der Bildausschnitt. Der Sicht aus behaglicher Distanz weicht nun einer Sicht, welche die Silhouette der Drei Zinnen selbst markant in den Mittelpunkt rückt – und zwar so, daß benachbarte Gipfel konsequent aus dem Bild verbannt werden. Nun erst gerinnt die Ansicht der Drei Zinnen definitiv zur „Pose des gebirgigen Denkmals“, werden diese stilisiert zu einer „silhouettenartigen Projektionsfolie“, in welche historische Mythen und politische Appelle gleichsam „wie in ein Bühnengeschehen einmontiert“ werden konnten.

Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts hatte dafür das Terrain präpariert: Patriotische Dichter und Denker wurden damals in Standbilder gegossen und in die Grenzgebiete verlegt. Selbst in unwegsamstem Gelände sollten meterhohe Obeliske die Grenzen des nationalen Territoriums markieren: „Felskanten, Zacken, Zinnen und Gipfel entlang der Grenzen wurden allmählich zu präzisen Scheidelinien nationaler Wir-Gefühle umfunktioniert.“

Im Ersten Weltkrieg erfährt all das dramatische, ja absurde Steigerungen: Die Drei Zinnen werden zum tarnenden Massiv, zur schützenden Wand – Aussichts- und Geschützplattform, Ziel und Hindernis für beide Seiten. Kriegspropaganda macht sie zum „symbolischen Bollwerk“, das es von Süden her zu „nehmen“, von der anderen Seite aus zu „halten“ gilt.

Nicht zufällig zielen die ersten Schüsse österreichischer Gebirgstruppen im Mai 1915 auf das Denkmal des italienischen Nationaldichters Giousue Carducci, das man (ebensowenig zufällig) ganz in der Nähe am Monte Piano aufgestellt hatte. Fast zeitgleich zerstören italienische Granaten die bereits geräumte und strategisch wertlose „Drei Zinnenhütte“ auf der österreichischen Seite. Erst dann beginnt der „richtige“ Gebirgskrieg: Der Anschlagswinkel des Beobachtungsgeräts (Panoramakameras, Riesenscheinwerfer) entspricht jenem der schweren Waffen – die „Bewaffnung des Auges“ reflektiert den Triumph des „militärisch verschanzten Blicks“ auf das Gebirge.

Heute, 80 Jahre später, sind die Originalschauplätze des Schreckens eine Touristenattraktion, ist das „Wegenetz des Krieges“ für alle erschlossen – ein Motiv fürs Tele in der Hand der Besucher.

Anton Holzer: „Die Bewaffnung des Auges. Die Drei Zinnen oder Eine kleine Geschichte vom Blick auf das Gebirge“. Verlag Turia + Kant, Wien 1996, 124 S., 32 DM