„Auf Bremen runterbrechen/den Bremen-Dreh suchen“

■ Eine kurze Einführung in den Lokaljournalismus / 3. Lektion: Wie die Welt in die Stadt kommt

Ihr Lebenstraum ist ein Dasein als Provinzfürst. Denn dies ist die einzige Existenzform, die zwei konträre Gelüste unter eine Haube bringt: den Wunsch nach Betulichkeit und nach grenzenloser Macht. Seit Abschaffung des Feudalismus gibt es nur noch eine einzige Enklave des ersehnten Provinzfürstentums: die des Lokaljournalismus. Vor einer Woche haben wir ihnen das Erlernen der Grundlagen dazu versprochen. Doch Sie fühlen sich betrogen. Denn die ersten beiden Lektionen vermittelten nur die Kompetenz zum großen, weltweiten Journalismus. Unerquickliche Arbeitsplätze wie New York, Peking oder Bonn wären die Folge. Doch Geduld. Heute ist es so weit. In unserer dritten Lektion nähern wir uns in Windeseile unserem geographischen und ideologischen Lebensziel, das Ganderkesee, Niederaltaich, Oberfischbach oder Bremen-Zentrum heißt.

Die Welt ist groß, die Stadt ist klein. Das ist banal, sagen Sie? Eine Binsenweisheit, die jeder kennt? Tja, schon irren Sie, denn im Lokaljournalismus gibt es keinen Unterschied zwischen der weiten Welt und der kleinen Stadt, denn alles hängt miteinander zusammen, und es gibt in der Welt nichts, was es nicht auch in Bremen gibt – und umgekehrt. Der Lokaljournalist braucht und hat dafür sein Handwerkszeug. Das Verfahren wird entweder „Auf Bremen runterbrechen“ oder „Den Bremen-Dreh suchen“ genannt, und wer es beherrscht, dem steht buchstäblich die Welt offen.

Nehmen wir an, der Winter steht vor der Tür. Und damit rollt ganz gewiß auch die nächste Grippe-Welle heran. Schon bevor ein Arzt (kommt er aus Bremen?) den Virus entschlüsselt hat, grassiert sie in allen Lokalredaktionen zwischen Worms, Wanne-Eickel und Wismar. Lokalredakteure schwärmen aus auf die Marktplätze und befragen eine Zufallsstichprobe von BürgerInnen nach ihrer Krankengeschichte und ihrem Impfverhalten. Ganz locker läßt sich mit den Aussagen und Portrait-Fotos eine halbe Seite füllen.

Es gibt natürlich auch originellere Ansätze. Der Service-orientierte: „Grippe – lohnt sich die Impfung?“ Der Engagiert-besorgte: „Rettet unsere Schulkinder: Gebt bei Grippe grippefrei!“ Oder der Personalisiert-angefeaturte: „Die Leidensgeschichte des Hans M. aus Bremen/Fähr-Lobbendorf: Zwölf Jahre Dauerschnupfen, und kein Arzt konnte helfen.“

Das Runterbrechen beschränkt sich freilich nicht auf die alljährliche Grippewelle. Auch wenn es zynisch klingen mag: Es gibt kaum eine Katastrophe ohne lokalen Bezug. Nach dem Busunglück in Südspanien lassen Lokalredakteure zwischen Worms, Wanne-Eickel und Wismar bei der Polizei oder beim Auswärtigen Amt die Telefone heißlaufen: „War jemand aus Worms/Wanne-Eickel/Wismar (unzutreffendes streichen) dabei? ... Nein? ... Aber die Eltern des Busfahrers leben in Worms/Wanne-Eickel/Wismar (unzutreffendes streichen)? Ah, danke für diese Auskunft.“ Denn auch das gibt Stoff für mindestens eine halbe Seite.

Das Runterbrechen macht vor nichts halt. Die neue Bundesarbeitslosenstatistik hat natürlich einen lokalen Bezug (ist der Vizepräsident der Bundesanstalt Bremer?). Die Erhöhung der Mehrwertsteuer? Top-geeignet für eine Umfrage auf dem Marktplatz oder unter Geschäftsleuten. Die Atomversuche (kommt der Zulieferer aus Bremen?) in Indien und Pakistan? Ab ans Telefon und ran an den Bremer Asien- und Abrüstungsexperten. Die vermeintlichen Liebesaffairen des US-Präsidenten Bill Clinton (hat Monika Lewinsky Bremer Vorfahren?)? Ab zum Hintergrundgespräch mit dem Ex-Protokollchef des Bremer Rathauses zum Thema „Liebesaffairen in der Bremer Politik“.

Weil sich diese Kette beliebig fortsetzen läßt, geben wir Ihnen heute eine Hausaufgabe: Brechen Sie zehn Geschichten auf Bremen runter. Bedenken Sie dabei den Lernstoff der Lektionen eins und zwei („Was bedeutet das für mein Portemonnaie?“ und „Das muß auch der Rentner in Huckelriede verstehen!“) und merken Sie sich: Die Welt ist groß, die Stadt ist noch viel größer. ck

Die nächste Folge der kurzen Einführung in den Lokaljournalismus erscheint am ... und beantwortet die Frage ...