■ Kochen und Lachen mit Karl May und Adolf Hitler (1)
: Zum blonden Greenhorn

Wenn man in Radebeul das Karl-May-Museum besucht, gelangt man schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Karl-May- Straße, zu einem rohen Bretterverschlag, einer Mischung aus Stehimbiß, Kiosk und Kneipe. Obwohl der Laden nicht zum Karl-May- Museum gehört, hat er doch einen sehr adäquaten Namen: Die Bude heißt „Zum blonden Greenhorn“.

Hier, wo früher Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Bier vor oder nach der Schicht nahmen, trinken heute ältere, abgelegte, ungewollte Unisex-Ostdeutsche ihr Bier statt der Schicht. Es ist aus der Dose, es ist einigermaßen bezahlbar, und man hält, wenn man es langsam trinkt, vom ehemaligen sozialen Leben für einige Stunden einen Rest aufrecht, dessen Kümmerlichkeit seine Protagonisten allerdings ebenso betrübt wie den zufälligen Betrachter. Der aber wird teils argwöhnisch, teils trunken, teils erloschen und teils mit gedämpfter Aggression angestarrt und durchleuchtet, ob er wohl einer dieser Wessis sei, die an allem schuld sind.

Weshalb er nach dem Verzehr einer Cola auch zügig entschwindet, der „Villa Shatterhand“ und der „Villa Bärenfett“ entgegen, wo er sich ansehen kann, wie ein kleiner Sachse, wegen Bagatelldelikten von Polizei und Justiz drangsaliert und eingesperrt, sich zum meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller erhob und ziemlich gaga im Westmannskostüm durch die Straßen turnte. So daß Ernst Bloch später zu Recht über Karl May schreiben konnte: „Ein sehnsüchtiger Spießbürger durchstieß den Muff seiner Zeit. Fast alles ist nach außen gebrachter Traum der unterdrückten Kreatur, die großes Leben haben will.“

Das ist etwas wirklich Ungewöhnliches in der Literatur: Obwohl ein Autor beim Publikum erfolgreich ist, äußern sich auch Kollegen begeistert – auch wenn der 1912 gestorbene Karl May diese Verehrung größtenteils nicht mehr erlebt hat. Als „herrlichen sächsischen Lügenbold“, als „genialen Spinner“, „hinreißenden Aufschneider“ und „unübertroffenen Bildermacher“ feierte ihn 1964 der spätere Zonenhauptschriftsteller Hermann Kant. Auch Ernst Jünger, 1998 in der Blüte seiner Jugend und viel zu früh aus der Mitte der Deutschen gerissen, bekannte 1958 in „Jahre der Okkupation“: „Eine Seltenheit; die großen, unter einem Pseudonym veröffentlichten Kolportageromane von Karl May (...) Sicher haben sie viel dazu beigetragen, daß ich zur Fremdenlegion ging.“

Auch andere kriegstaugliche Charaktere zählen zu den Fans von Karl May. „Ich lese, da ich erst sehr spät nachts einschlafen kann, zur Zeit eine ganze Reihe der Karl- May-Bände“, gab Adolf Hitler zu Protokoll. Und fuhr fort: „Wissen Sie, ich halte von dem Karl May sehr viel. Was haben die Schulmeister ihn doch angegriffen, statt zu erkennen, wieviel positive Werte seine Bücher enthalten. Ein echter Jugendschriftsteller (...) muß eine reiche Phantasie besitzen, anständige Gesinnungen vermitteln und zeigen, was Lebenstüchtigkeit bedeutet. Vor allem aber muß er Humor haben. Und den besitzt Karl May in ebenso hohem Maße wie die Gabe der plastischen Anschaulichkeit.“ Und wenn in Deutschland je einer etwas von Humor verstanden hat, dann sicher Adolf Hitler, dessen humoristische Großtaten nur noch durch seine Verdienste als Liebhaber, als Gourmet und als Philosemit übertroffen wurden.

Woraus wiederum Klaus Mann folgerte: „Einer der glühendsten Karl-May-Verehrer war ein gewisser Taugenichts aus Braungau in Österreich. Adolf, faul und ziellos, fühlte sich völlig zu Hause in diesem fragwürdigen Labyrinth eines krankhaften und infantilen Hirns. Der erfolglose Anstreicher bewunderte in Old Shatterhand dessen Gemisch aus Brutalität und Heuchelei. (...) Das Dritte Reich ist Karl Mays letzter Triumph, die schaurige Verwirklichung seiner Träume.“

Das klingt ein bißchen hart; sollte Karl May, als er kurz vor seinem Tod den Vortrag „Empor ins Reich der Edelmenschen“ hielt, tatsächlich die Nazis im Sinn gehabt haben? Oder nicht doch eher das halbschwul religiös verschwiemelte Menschenbild, das ihm der Erlösungsmaler Sascha Schneider auf die Buchumschläge pinselte? Wiglaf Droste

(Lesen Sie schon morgen Teil 2: Born to be Wildbret!)