■ Die Taliban-Kämpfer erobern die letzte Großstadt Afghanistans
: Ein Sieg, der Washington Sorgen macht

Die Eroberung der letzten großen Stadt Afghanistans, Mazar-e Sharif, durch die Taliban wird in Washington kaum Begeisterungsstürme entfachen. Dort wird man statt dessen mit großer Sorge sehen, daß – ausgerechnet am Wochenende der Terroranschläge von Nairobi und Daressalam – genau jene ultraislamistische Bewegung ihre Macht konsolidiert, die jenem Mann Unterschlupf gewährt, der die „top of the short list“ (CNN) der dafür Verdächtigen bildet: der saudische Dissident Usama bin Laden.

Nachdem Irans Führung die Anschläge in Ostafrika ausdrücklich verurteilte und Sudan „Carlos“ an Frankreich auslieferte und deshalb auch nicht mehr jene Schurkenstaaten sind, die sie einst waren, dürfte Afghanistan auf der Prioritätenliste Clintons und seiner Sicherheitsberater stark nach oben rücken: als letzter „save haven“ für die islamistische Terrorinternationale. Bisher rangierte es eher irgendwo im Mittelfeld, weit hinter Kosovo. Washington überließ das Land seinen Semi-Satelliten Saudi-Arabien und Pakistan.

Jetzt könnte sich eine Art internationale große Koalition in Sachen Afghanistan bilden, zwischen den USA sowie Rußland und Iran. Profitieren könnten davon die jetzt geschlagen scheinende Anti-Taliban- Allianz und ihr Oberkommandierender Ahmad Schah Masud, aus dem Kampf gegen die Sowjets als „Löwe vom Panschir-Tal“ bekannt. Der hat Moskau und Teheran ohnehin schon auf seiner Seite.

Aber ganz so einfach ist das auch wieder nicht. In den USA wie in Rußland, hier in trauter Eintracht mit Teilen des Militärs (und der Mafia), ringen die Öllobbys um die Trans-Afghanistan-Pipelines für das Erdöl und Erdgas des früheren Sowjet-Mittelasiens. Während einige US-Ölmultis sie bauen wollen und dafür ein Afghanistan brauchen, das nicht zwischen den Fraktionen zerrissen ist, wollen russische Interessengruppen dies verhindern. Um von den USA nicht im Transithandel ausgebootet zu werden, schüren sie nach Kräften sämtliche Regionalkonflikte zwischen Kurdistan, Kaukasus und Hindukusch.

Jetzt wären allerdings die US-amerikanischen Firmen in der Vorhand, denn was von den Taliban-Gegnern im Augenblick übrig ist, reicht nicht im entferntesten an die geplante Trassenführung heran. Für ihre russischen Counterparts wäre das, in der Logik des Spiels, nur Ansporn, die Anstrengungen zu verdoppeln. Thomas Ruttig