Moskaus halbherzige Entschlackungskur

■ Rußland will einige schrottreife Reaktoren zerlegen – und plant den Bau 12 neuer AkWs

Moskau (taz) – Der Legende zufolge wurde Moskau, wie Rom, auf sieben Hügeln erbaut. Heute steht die russische Hauptstadt auch noch auf einer Zeitbombe aus atomaren Forschungsanlagen. Der will die Moskauer Stadtregierung nun zu Leibe rücken.

Bei näherem Hinsehen sind es nur drei von insgesamt sieben Forschungsreaktoren des unweit der Moskauer City gelegenen Kurtschatow-Instituts, deren Demontage bis zum Jahre 2005 die Stadtregierung kürzlich gebilligt hat. Beantragt wurde dies vom Institut selbst, weil die betreffenden Reaktoren zu nichts mehr zu gebrauchen und ihre Brennstäbe aufgezehrt sind.

Auch die anderen Kurtschatow- Anlagen sind hoffnungslos veraltet. Offiziellen Angaben zufolge befinden sich nach fast 50 Forschungsjahren auf dem Territorium des Institutes dreieinhalb- bis viertausend Kubikmeter radioaktiver Abfälle – etwas mehr, als ein Atomkraftwerk im Laufe eines Jahres produziert.

Die erste atomare Entschlackungskur für die Hauptstadt soll mit dem Abtransport dieses Mülls in die Wiederaufbereitungsfabrik „Majak“ im Ural beginnen. Etwa 2.000mal müßten dafür die Spezialtransporter der beauftragten Firma „Radon“ Moskau durchqueren. Die demontierten Reaktorbruchstücke will man hingegen gleich in der Nähe begraben, zum Beispiel bei dem idyllischen Klosterstädtchen Sergijew Possad. Dort hat angeblich Gott in kluger Vorsorge den Grund und Boden so geschaffen, daß er nichts Radioaktives durchsickern läßt. Umgerechnet soll das Vorhaben etwa 200 Millionen Mark kosten.

Während der russische Staat noch immer nicht weiß, wie er seine bisherigen Atomanlagen finanzieren soll, hat Ministerpräsident Kirijenko Ende Juli bereits einen Plan für den Bau von 12 neuen Atomkraftwerken zu Beginn des neuen Jahrtausends unterzeichnet. Ihre vorgesehenen Standorte sind über ganz Rußland verstreut. Die Mehrheit soll aber im europäischen Teil errichtet werden.

„Während sie mit der einen Hand darangeht, einen winzigen Teil der über Jahre angehäuften bedrohlichen Masse abzutragen, will unsere Regierung mit der anderen Hand schon wieder eine neue Bedrohung schaffen“, sagt Igor Forofontow, Atom-Campaigner bei Greenpeace-Rußland. Forofontow begrüßt zwar den ersten Schritt zur Auflösung der atomaren Kurtschatow-Anlagen. Er stellt aber klar, da es sich dabei um einen Tropfen auf den heißen Stein handelt.

Außer bei Kurtschatow stehen noch zwei Reaktoren im Institut für theoretische Experimentalphysik, mitten in Moskau. Dutzende Großröntgenanlagen oder strahlenchemische Laboratorien unterstehen der Kontrolle der russischen Atomaufsichtsbehörde. Die verzeichnete im vorigen Jahr allein in atomaren Forschungseinrichtungen 67 Störfälle. Barbara Kerneck