Thüringens übereifriger Verfassungsschutz

■ Wie eine DGB-Mitarbeiterin und Sprecherin des Erfurter Flüchtlingsrates in die Akten des thüringischen Verfassungsschutzes gelangte. Anlaß war eine antirassistische Kundgebung, auf der auch Kirche

Berlin (taz) – Julika Bürgin, Mitarbeiterin des DGB-Bildungswerkes in Erfurt und Vorsitzende des Flüchtlingsrates Thüringen, will aus den Akten des Verfassungsschutzes gestrichen werden. Das Amt aber weigert sich. Die Vorgeschichte beginnt dabei ebenso harmlos wie typisch. Rund 300 Personen beteiligten sich am 21. März in Erfurt an einer Demonstration anläßlich des Internationalen Tages gegen Rassismus. Aufgerufen hatte der Flüchtlingsrat. Die Redner, darunter der ehemalige evangelische Erfurter Probst Dr. Heino Falcke und die stellvertretende DBG-Landesvorsitzende Renate Licht, forderten ein Ende der Ausgrenzung von Flüchtlingen. Soweit eine ganz normale Angelegenheit, wie sie auch andernorts stattfand. Und doch hatte die Erfurter Demonstration etwas Besonderes, denn der Verfassungsschutz war dabei.

Im März-Bericht der Behörde findet sich unter der Rubrik „Linksextremismus“ der dazugehörige Kurzbericht. Umstandslos wurden da der Flüchtlingsrat, die teilnehmenden Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen unter dem Schlagwort „Autonome“ subsumiert. Wörtlich heißt es: „Am 21. Januar hatte Julika Bürgin, Sprecherin des Flüchtlingsrates Thüringen e.V., eine Demonstration mit Kundgebung für den 21. März in Erfurt angemeldet. (...) Etwa 100 Flüchtlinge demonstrierten am 21. März zusammen mit 200 Unterstützern aus der örtlichen autonomen Szene anläßlich des Tages des Rassismus in der Erfurter Innenstadt. (...) Die Demonstration verlief störungsfrei.“

Solche Monatsberichte, wie sie auch von anderen Verfassungsschutzämtern erstellt werden, sind normalerweise interne Papiere. Empfänger sind das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, die einzelnen Landesämter und die regionalen Staatsschutzabteilungen der Polizei. Intern hätte er auch diesmal bleiben sollen. Zum Ärger der Geheimen wurde die betreffende Passage der Anmelderin jedoch anonym zugespielt. Frau Bürgin wandte sich daraufhin an das Landesamt und forderte Aufklärung. Dieses begründete Observation und Bericht daraufhin erneut mit der Teilnahme von „Unterstützern aus der örtlichen autonomen Szene“ und seiner Verpflichtung, „verfassungsfeindliche Organisationen zu beobachten“. Hierzu, so wurde versichert, „zählt der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. nicht“. Damit war die Angelegenheit für den Verfassungsschutz erledigt, eine Richtigstellung der Meldung und die Streichung ihres Namens aus den Akten wurden abgelehnt, da dieser in den Dateien des Verfassungsschutzes „nicht gespeichert ist“ und Bürgin „lediglich in der Sachakte als Anmelderin der Demonstration festgehalten“ sei. Diese Haltung nahm auf Nachfrage auch das Erfurter Innenministerium ein. Dort ist man der Meinung, der Sachverhalt sei geklärt und somit für das Ministerium „erledigt“. Nicht so für die 30jährige Julika Bürgin. Sie hat Widerspruch eingelegt und den Datenschutzbeauftragten eingeschaltet. Ihr Anwalt prüft derweil die Möglichkeiten einer Klage. Otto Diederichs