Auch ohne Uwe keine Chance

Die Bundesliga im großen taz-Test (VI): HSV-Trainer Frank Pagelsdorf brutzelt Würstchen von hoher Qualität – und redet ansonsten nicht schön, was nicht schön ist  ■ Tester: Clemens Gerlach

Wie groß ist der Berti-Faktor?

Diese Disziplin beherrscht der HSV seit Jahren meisterlich: der glorreichen Vergangenheit nachzutrauern. Das bleibt auch nach dem Scheitern der totalen Retro- Nummer mit Uwe Seeler so. Jetzt halten sie sich für etwas Besseres, weil sie das einzige verbliebene Bundesliga-Gründungsmitglied sind. Dabei ist der HSV nur ein Fast-Absteiger. Trainer Frank Pagelsdorf möchte dennoch „unter die ersten acht“. Mit welcher Art von Fußball, beschreibt er lieber nicht. Nur: „Ich will die Mannschaft weiterentwickeln.“ Zumindest versucht er nicht, die Darbietungen schönzureden. Also:

Wird Fußball gespielt?

Die Hoffnungen der HSV-Fans ruhen auf dem neuen Stadion. Moderne Arena – modernes Spiel. Vorerst aber: Baustelle statt Bruchbude. Immerhin versprechen die Neuen, vor allem der 19jährige Fabian Ernst, keine spielerische Verschlechterung. Ansonsten, wie gehabt: hinten mit Libero und zwei Manndeckern. Von der Dreierkette hat Pagelsdorf Abstand genommen. Auch von einem Spielmacher. Notfalls lang nach vorn. Das Volksparkstadion ist kein Ort für Ästheten.

Wer hilft?

Finanziell gesehen tut der neue Vermarkter am meisten. Ohne die ufa wäre der 158 Millionen Mark teure Stadion-Neubau nicht drin gewesen. Auch sehr aktiv: Werner Hackmann, derzeit geschäftsführendes Vorstandsmitglied und Interims-Vorsitzender. Der Ex-Innensenator ist gelernter Sozialdemokrat der Hamburger Schule: Keine Ideen, aber Beziehungen. Seine vielfältigen Kontakte sind lebenserhaltend.

Wert stört?

Die beiden ehemaligen HSV- Profis Holger Hieronymus (Sportchef) und Bernd Wehmeyer (Manager) haben keine Zeit zum Ärgermachen, weil sie ausreichend beschäftigt sind, ihren Arbeitsplatz zu sichern. Ex-Präsident und Aufsichtsrat Jürgen Hunke, ein Pagelsdorf-Gegner, hält derzeit still. Potentielle Unruheherde sind die ufa- Leute in der Vereinsführung.

Wie will man Tore schießen?

Ohne Hasan Salihamidzic ist mal wieder Anthony Yeboah gefragt. Der zwischen 32 und 40 Jahre alte Stürmer traf in der vergangenen Serie drei Mal. Doch Pagelsdorf lobt die teuerste Verpflichtung der Vereinsgeschichte: „Tony ist torgefährlich, unser bester Stürmer.“ Zum Start in Nürnberg wird er verletzungsbedingt fehlen. Statt dessen rennen vorne: Dirk Weetendorf, der nur durch seinen Spitznamen „Horst-Uwe“ Klasse andeutet, und die Neuen, Sergej Kirjakow (Kreuzband) und Vanja Grubac (Belgrad).

Allgemeines Qualitätsdefizit

Vorige Serie verpflichtete der HSV 15 Spieler. Davon sind die meisten wieder weg. Nur zwei Abgänge schmerzen: Salihamidzic und Kmetsch. Diesmal wurden nur acht Mann geholt. „Das Gerippe steht“, sagt Manager Wehmeyer. Für den kicker ist dennoch klar: Der HSV wird 18. Das hatte das Fachmagazin schon vorige Saison geweissagt. Es kam Platz 9 heraus, auch weil die im Laufe der Saison gekauften Jacek Dembinski, Ingo Hertzsch und Andrej Panadic echte Verstärkungen waren. Problem: Es liegen zwar Millionen bereit, aber der HSV ist keine gute Adresse mehr. Qualitätsdefizit: 53

Was macht der Trainer?

Seit Pagelsdorf vermählt ist, muß er nur noch selten selber kochen. Um nicht ganz aus der Übung zu kommen, brutzelt der Coach zuweilen für die Mannschaft. Im Trainingslager grillte der Apfelschorle-Freund zwecks Teamspirit Würstchen und Steaks. „Lecker“, übermittelte Neu-Kapitän Andras Fischer stellvertretend für die Truppe. Zu Außenstehenden ist Pagelsdorf weniger väterlich. Der Trainer gilt als Blubberbacke. Journalisten, die nach 21 Uhr anrufen, werden angepflaumt: „Uhr kaputt?“ Nachtragend ist Pagelsdorf aber nicht.

Taugt der Torwart?

Ein sehr pragmatischer Mensch. Jörg Butt (24) verzichtet sogar auf seinen ersten Vornamen Hans. Ansonsten hält er unhaltbare Bälle nicht, dafür aber haltbare. „So ist es halt“, meint Butt, der aus Großenkneten stammt. Da kommt auch „Trio“ her. „Da, da, da, ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht, aha.“ So einfach ist das.

Wer ist der Beste?

Eigentlich Thomas Doll (32). Doch der gichtkranke Dopingsünder, dessen Transfer 1991 den HSV sanierte, ist nach einer weiteren Verletzung ein Pflegefall. Dann eben Thomas Gravesen (22). Allerdings hat Pagelsdorf die dänische „Hümörbömbe“ entschärft und vom Mittelfeld auf die Libero- Position verfrachtet. Also doch Nationalverteidiger in spe Ingo Hertzsch.

taz-Prognose: Bei seinem Amtsantritt sagte Pagelsdorf: „Ich brauche drei Jahre, bis wir oben mitspielen können.“ Diese Serie ist seine zweite in Hamburg. Platz 10.